Theater der Zeit

Syrien

Wo das Theater versagt

die Syrer Omar Abusaada und Mohammad Al Attar

von Rolf C. Hemke

Erschienen in: Recherchen 104: Theater im arabischen Sprachraum – Theatre in the Arab World (12/2013)

Assoziationen: Afrika

Anzeige

Anzeige

„Können wir über Fußball sprechen?“ Die ironische Frage von Mohammad Al Attar zu Beginn unseres Gesprächs umreißt pointiert die Situation. Natürlich können und wollen sich der Autor Al Attar und sein kongenialer Regisseur Omar Abusaada nicht der Reflektion über die Konflikte in ihrer syrischen Heimat und deren Auswirkungen auf ihr Leben und ihre Kunst entziehen. Doch was den Charme und auch die Tiefe in der Begegnung mit diesen beiden außergewöhnlichen Theatermachern ausmacht, ist ihre Mischung aus künstlerischem Engagement, mit Rückgrat formulierter politischer Meinung und Lebenslust, die sich gerne in feixendem, anarchischem Humor und lautem Lachen Bahn bricht. Manchmal kommt man aber nicht ganz umhin, auch ein Lebensgelächter daraus zu hören.

Genau diese Grundierung gibt ihrer Produktion Intimacy die Dimension. Im Rahmen des Homeworks Festivals von Beirut im Mai 2013 stellten sie diese Arbeit zum ersten Mal vor. Einfach umrissen erzählt sie ausschnitthaft und assoziativ die Lebensgeschichte und zeichnet ein Charakterporträt ihres Hauptdarstellers Yaser Abdellatif. Dieser farbige, sudanesische Schauspieler emigrierte als Theaterstudent 1991 wegen des Militärputsches aus Khartum nach Damaskus und wurde dort zum Star. Über zwanzig Jahre später zwang ihn der Syrienkonflikt, als Fremder in seine alte Heimat zurückzukehren. In Syrien war er zeitlebens der Sudanese, doch in den Augen seiner Landsleute ist er nun zum Syrer geworden.

Dennoch oder gerade wegen solcher Absurditäten ist Intimacy die Geschichte eines Schauspielerlebens als Komödie oder: vielmehr Lebensfarce. Das bringt schon der schelmisch-verschmitzte Charakter mit sich, den Yaser da auf der Bühne verkörpert. Sowohl als Schauspieler wie als Regisseur kommt er mehr als einmal betrunken auf seine Theaterproben. Ob die Geschichte von diesem unzuverlässigen, egozentrischen aber doch charismatischen und irgendwie liebenswerten Lebenskünstler tatsächlich genau die von Yaser Abellatif ist oder ob sie von Mohammad Al Attar phantasievoll ausgesponnen wurde, bleibt eines der Geheimnisse dieser Aufführung.

Omar Abusaada jedenfalls dekliniert in seiner Inszenierung, die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten dieses (pseudo-?) biographischen Textes treulich durch. Der Struktur des überwiegend als Interview ausgestalteten Stücks kommt er über unterschiedliche Dialog-Situationen bei: Auf der leergeräumten Bühne beginnen die beiden Darsteller – der „Fragensteller“ Ayham Agha und der Interviewpartner Yaser Abellatif – mit einer Art Leseprobe wie zu Beginn eines Inszenierungsprozesses. Den Vortrag der Regieanweisungen versehen die beiden durch besondere Betonung mit rhetorischen Anführungszeichen. Dann wechselt die Szene in die Situation eines an einem großen Holztisch geführten Werkstattgesprächs. Die mit schwarzen Vorhängen ausgeschlagenen Wände werden entblößt, bevor Abusaada wiederum eine Lesesituation herstellt, nur um danach die beiden Darsteller wie Popsänger an zwei Mikrophonen zu platzieren.

Danach folgt eine Fragenlitanei Ayhams ohne Antworten Yasers. Nach einer wiederholten, klassischen Unterhaltungssituation verfällt Ayham in einen Monolog: Er stellt Fragen und liefert Yasers Antworten gleich mit. Dieses reduzierte, konzentrierte Textexerzitium steht mit dem Unernst von Yasers Lebensführung in Damaskus, aber auch mit den wechselvollen, revolutionären Ereignissen, die ihn zu Lebensaufbrüchen zwingen, in einem reizvollen, ja provokativen Spannungsverhältnis. Man kann die Wahl der Form als bewusste Reduktion der Mittel im Angesicht von Vorgängen beschreiben, die sich einer realistischen Darstellung auf der Bühne ohnehin entziehen. Die Intensität der Darsteller allerdings und die ironische Kraft des Textes lassen die Bilder im Kopf des Zuschauers umso deutlicher entstehen.

Intimacy ist das dritte Projekt, dass das Autor/Regie-Gespann seit Ausbruch der syrischen Revolution im März 2011 realisiert hat. 2008 hat ihre Zusammenarbeit über einem Projekt mit jugendlichen Gefängnisinsassen in Damaskus begonnen. In Beirut während des Meeting Points 6 Festivals im Mai 2011 stellten sie das Projekt Look At the Streets, This is What Hope Looks Like vor. Grundlage des Projektes war eine Kollage aus Facebook-Einträgen syrischer Revolutionsaktivisten und Ausschnitten aus Reportagen der ägyptischen Romanautorin und Journalistin Ahdaf Soueif, die diese für die englische Zeitung The Guardian von den Revolutionsereignissen rund um den Kairoer Tahrir-Platz schrieb.

Ihre zweite Produktion Could you Please Look Into the Camera schrieb Mohammad basierend auf Interviews mit willkürlich festgenommenen und manchmal gefolterten Opfern der syrischen Sicherheitskräfte. Diese fasste er dramaturgisch in die fiktive Geschichte einer syrischen Dokumentarfilmerin ein, die basierend auf entsprechenden Opferberichten einen Film zu realisieren versucht. Uraufgeführt wurde dieser Text im April 2012 auf dem Bo:m-Festival im südkoreanischen Seoul. Intimacy stellt in diesem Kontext den Rückzug auf das Private dar. Es ist die Reflektion des Konflikts in den Auswirkungen auf die Biographie eines an dessen Rande stehenden, einzelnen Menschen. Yasers Leben wird – wie das so vieler Syrer – komplett umgekrempelt, ohne dass er selbst unmittelbar an politischen Aktionen oder gar Kriegshandlungen beteiligt gewesen wäre.

Omar sagt dazu: „Die wichtigste Veränderung des Konflikts hat sich lange und unwiderruflich vollzogen – bereits in den ersten Monaten. Ich meine die Veränderung in den Köpfen der Menschen. Kein Syrer ist mehr der gleiche wie vorher.“ Mohammed führt dies aus: „Man hat als Syrer nicht die Wahl, die Entwicklungen in unserer Heimat zu ignorieren. Das wäre unsinnig. Wir versuchen zu beobachten, was diese Situation mit uns macht, wie sich unser Leben verändert. Wir versuchen mit unseren Mitteln, mit dem Theater darüber nachzudenken. Das Theater ist einer der möglichen Wege, mit Distanz auf das zu schauen was mit uns passiert. Anhand der Objektivierung durch die eigene Arbeit kann man dann versuchen nachzuvollziehen, was die Veränderungen sind, wie sich die Krise auf einen selbst auswirkt. Auch wenn man natürlich nur ein kleiner Mosaikstein eines Großen und Ganzen ist, das man aber im Detail viel genauer beschreiben kann. Theater ist auch ein Weg zu überleben, produktiv zu bleiben, nicht zu verzweifeln.“

Omar Abusaada lebt bis heute, Sommer 2013, in der syrischen Hauptstadt. Das erklärt er so: „Damaskus ist meine Stadt. Ich will meine Heimat nicht verlassen. Ich empfinde all diese Katastrophen, die über uns hereinbrechen, als eine wichtige Erfahrung.“ Mohammed hat das erste Jahr der Revolution noch in Damaskus erlebt. Danach wäre er zwangsweise zum Militärdienst eingezogen worden. Dem hat er sich verweigert. Er lebt heute im 60 km von Damaskus entfernten Beirut. Die libanesische Hauptstadt ist im Moment ohnehin der syrische Brückenkopf in die freie Welt. In seine Heimat darf er unter dem Assad-Regime nicht mehr einreisen. Er sagt: „Unser Land wird sogar noch schwierigere Situationen erleben, wenn wir wirklich bereit dazu sind, ein Regime zu stürzen, das uns über mehr als vier Jahrzehnte tyrannisiert hat. Dann muss es zu einem Neuanfang kommen, das wird nicht das Ende der Geschichte für die Syrer sein, sie werden wieder aufstehen.“

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"
Recherchen 163 "Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny  im Spiegel von Mythos und Religion"
Passionsspiele Oberammergau 2022
"Theater der Vereinnahmung"
Recherchen 156 "Ästhetiken der Intervention"
"Theater unser"
"Pledge and Play"