Sozialismus ohne Regierung – oder kein Theater mehr!
von Bert Papenfuß
Erschienen in: Arbeitsbuch 2016: Castorf (07/2016)
Im Umfeld der DDR-Theater verbargen sich in Literaturzirkeln, Dramatikworkshops u. ä. sowie in den von Theaterleuten frequentierten Kneipen Horte jugendlicher und teilweise auch erwachsener Renitenz, meist observiert durch willfährige IMs und deren Führungsoffiziere.1 Die schlecht bezahlten Theaterhandwerkerjobs boten Freiräume für Aussteiger, die sich noch nicht ganz aufgegeben hatten. Die Linien - treue der Vorgesetzten wurde bespöttelt. Von Inszenierungen, die über den sozialistischen Boulevard hinausgingen, wurde erwartet, die „richtigen“ Fragen zu stellen und entsprechende Denkanstöße zu geben. Regimekritik wurde systemübergreifend verstanden. Wir hatten Zeit nachzudenken, standen ja schließlich nicht unter Konsumzwang. Die Sozialkritik westlicher bürgerlicher Dramatiker galt unseres Erachtens ebenso für den uns umzingelnden Eierkuchen.2
Die hierarchische Struktur der Staatstheater verkörperte die unsozialistische Schichtung der DDR-Gesellschaft in ihrer „realen Existenz“. Das Staatstheater war wie eine Armee in Friedenszeiten – zum Beispiel die NVA im Kalten Krieg –, eine Schlampe von Mutter, die einen rund um die Uhr betüttelt und knutet. Sie kreiert eine Scheinwelt: füttert, bildet, beschäftigt, regelt die Sexualität, bezahlt und kassiert – und schickt ins Manöver beziehungsweise auf die Bretter. Das Kasino heißt Kantine. Die Nomenklatura hätschelt ihre Pampel. Nachdem ich noch eine Ausbildung zum Beleuchtungsmeister absolviert hatte, stieg ich 1980 aus dem Theater aus, weil ich...