5 Fazit: verstärkte Autorschaft von Schauspieler/-innen und Regieteams
von Julia Kiesler
Erschienen in: Recherchen 149: Der performative Umgang mit dem Text – Ansätze sprechkünstlerischer Probenarbeit im zeitgenössischen Theater (09/2019)
Die Behandlung des Textes als Material bringt ein performatives Verständnis der Textarbeit hervor, insofern es hierbei nicht um die Vermittlung oder Wiedergabe einer in der Textvorlage vorgegebenen Bedeutung geht, sondern um die Konstitution von Sinn und Wirklichkeit innerhalb einer Aufführung, der zwar eine Textvorlage als Ausgangspunkt zugrunde liegen kann, die aber durch Verschiebungen, Überblendungen, Verfremdungen sowie Bezüge zu anderen Texten und Stoffen kontextualisiert wird. Damit verschiebt sich das Verhältnis von Textvorlage und Interpretation. Obwohl auch die klassischen sprechwissenschaftlichen Lehrmeinungen davon ausgehen, dass ein Text immer neu gestaltet, neu interpretiert wird, da er mit „persönlichen Vorstellungsinhalten, Assoziationen und Gefühlen“ aus den eigenen Denkprozessen des Schauspielers oder der Schauspielerin erarbeitet und gesprochen wird (Aderhold 2007, 202), steht hier dennoch meist die Gestaltung eines Textes im Sinne einer „Umsetzung“ im Fokus. Ein performativer, prozessartiger und produktionsorientierter Umgang mit einer Literaturvorlage fokussiert jedoch nicht primär die Interpretation des Textes, der durch eine persönliche Lesart bereichert wird, sondern die Entstehung eines theatralen Textes im Prozess der Inszenierung und Aufführung (vgl. Klein 2007, 69), die eine eigene Wirklichkeit konstituiert. Die Offenheit einer während des gesamten Probenprozesses entstehenden Textfassung kennzeichnet diesen performativen Umgang mit einem Text. Nicht eine bereits durch das Regie- und Dramaturgieteam gekürzte und bearbeitete...