Look Out
My smile is my rifle
Mizgin Bilmen ist Regisseurin statt Aktivistin geworden, um sich mittels des Theaters einzumischen
Erschienen in: Theater der Zeit: Playtime! – Der Theatermacher Herbert Fritsch (05/2017)
Mizgin Bilmen hat keine Angst. Weder vor großen Tieren, starken und erfahrenen Bühnenpersönlichkeiten, noch vor der Herausforderung, aus dem Stand eine Musiktheateraufführung zu stemmen. „Ich kann weder Noten lesen noch ein Instrument spielen.“ Aber ihr eigener Mut lädt offenbar andere dazu ein, mutige Entscheidungen zu treffen: Am Theater Bielefeld debütiert sie Anfang des Jahres als Opernregisseurin und inszeniert „Charlotte Salomon“ von Marc-André Dalbavies über das kurze und intensive Leben der in Auschwitz ermordeten Malerin. Die Schauspielerin Jana Schulz und die Mezzosopranistin Hasti Molavian teilen sich die Figur der jüdischen Malerin und ihres Alter Ego, Charlotte Knarre. Der Aufführung gelingt es eindrucksvoll, die Bilderwelten, die Figuren und Farben der Charlotte Salomon, die diese in ihrem Zyklus „Leben? Oder Theater?“ hinterlassen hat, durch ein feingliedriges Ineinandergreifen von Projektionen, Bühnenbild und Darstellung zu übersetzen und erlebbar zu machen. Bereits in der dritten Probenwoche vertraut man ihr „Rheingold“ von Richard Wagner für die kommende Spielzeit an.
Mizgin ist das jüngste von sieben Geschwistern. Ihr Vater kommt 1972 zunächst ohne seine Familie aus der Türkei nach Duisburg und beginnt als Stahlarbeiter bei der Firma Mannesmann. Die Eltern legen großen Wert auf eine gute Ausbildung, und so beginnt sie ein Studium der Literaturwissenschaft an der Fachhochschule Dortmund. Analyse und Forschung liegen ihr. Nach einer Hospitanz am Theater an der Ruhr bewirbt sie sich erfolgreich an der Folkwang Universität der Künste für den Studiengang Schauspielregie. Als Regieassistentin erlebt sie am Maxim Gorki Theater in Berlin die erste Spielzeit unter der künstlerischen Leitung von Shermin Langhoff. Von dort wird Mizgin Bilmen in der Spielzeit 2014/15 in das Regiestudio des Schauspiels Frankfurt aufgenommen. Hier inszeniert sie Heiner Müllers „Der Auftrag“ und schafft, gemeinsam mit der Schauspielerin Marina Frenk, eine ungewöhnliche Version von Frank Wedekinds „Lulu“. Mizgin Bilmen gelingt es, in „Exit:Lulu“ wie auch in „Charlotte Salomon“, weibliche Innenwelten nach außen zu stülpen und unsere Gesellschaft, ihre (unausgesprochenen) Regularien und (unsichtbaren) Repressalien im Angesicht ihrer Außenseiter zu spiegeln und zu entlarven.
Aber was wie ein geradliniger Weg aussieht, ist steinig und widerständig. Mizgin Bilmen hat sich aufgemacht, das Theater für sich zu erobern – nicht wegen, sondern trotz vieler Ecken und Kanten, die sie im System entdeckt. „Wir sind eine Mini-Elite, man kennt uns nicht!“, beschreibt sie illusionslos den Elfenbeinturm, aus dem sie sich einmischt und Theater für eine gerechtere Welt macht. In ihrer Familie sind zwei Onkel nach einem abgeschlossenen Jurastudium in den bewaffneten Widerstand gegangen und als kurdische Freiheitskämpfer gefallen. „Wenn ich das Theater nicht für mich entdeckt hätte, würde ich etwas weitaus Gefährlicheres machen.“ //
„Antigone“ von Sophokles in der Regie von Mizgin Bilmen hat am 12. Mai am ETA Hoffmann Theater in Bamberg Premiere.