4.1 Grundannahmen
Chétouanes Arbeiten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich nicht auf eindeutige Bedeutungen oder Interpretationen festlegen lassen. Ihn interessiert vielmehr die Frage, wie man Pluralität erzeugen kann und wie Schauspielerinnen und Schauspieler „jeden Abend im Jetzt neu entstehen lassen“ können (Chétouane in: Internetquelle 3, 2015).
Wir gehen dabei soweit, dass nicht festgelegt ist, wer wann welchen Text spricht. Der Text ist komplett offen, ebenso wie die Spieler sich den Text greifen. Das verlangt von ihnen ein unglaubliches Mithören, eine große Aufmerksamkeit. […] Man muss auf das, was der Kollege zuvor gezeigt hat, wirklich eingehen, man kann es nicht einfach ignorieren und das Eigene dagegenstellen. Ich finde das auch politisch betrachtet ungeheuer interessant. Denn es stellt die Frage, wie geht man mit dem Fremden um, […] mit unbekannten Parametern, auf die man im Jetzt reagiert […]. Man weiß nicht, wo man in einer Minute sein wird, denn man hat die Parameter nicht in der Hand. Diese Laborsituation finde ich interessant zu untersuchen. (ebd.)
Die schönsten Momente im Theater sind laut Chétouane diejenigen, in denen der Schauspieler bzw. die Schauspielerin den Text vergisst. Hier eröffnet sich ein spannender Moment: Was passiert jetzt? Es entsteht wirkliche Präsenz. Für Chétouane stellt der Umstand...