Stück
Heul doch!
Bonn Park, Autor von „Traurigkeit & Melancholie“, über komische Zufälle und deprimierende Vergleiche mit Max Mustermann im Gespräch mit Mirka Döring
von Mirka Döring und Bonn Park
Erschienen in: Theater der Zeit: Jammer und Glorie – Der Regisseur Krzysztof Warlikowski (12/2014)
Assoziationen: Dramatik
Bonn Park, du bist gebürtig aus Berlin und hast schon bei P14, dem Jugendclub der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Theater gemacht. Hat sich da schon entschieden, dass du das zum Beruf machen willst?
Ich bin 2008 zu P14 gekommen, da kam gerade die neue P14-Leitung unter Vanessa Troya, die ist extrem super, weil die sagt: Los Kinder, macht was ihr wollt, und ich schreibe die nötigen E-Mails. Und weil sie die Leute vor dieser allzu deutschen Pädagogiklehre verschont, die oft so funktioniert, dass alte Menschen sich etwas für junge ausdenken, wovon sie denken, dass ihnen das selbst als Jugendlicher viel gebracht hätte. Und das ist oft so verschmutzt von Spiegel online und bildungspolitischen Diskursen, dass die Leute am Ende dastehen und sagen: Hey, ich bin ein Problemjugendlicher, aber jetzt irgendwie nicht mehr. Und all das macht Vanessa nicht. Deswegen und weil dort viele tolle Menschen sind, mit denen ich heute noch gerne zusammen bin, und wegen des Hauses selbst habe ich mich da sehr wohl gefühlt und sitze dort auch immer noch gern einfach im Hof rum.
Erst habe ich da gespielt und wollte auch Schauspieler werden – aber eben so, wie das jeder mal werden will … Ich bin zu Vorsprechen gegangen, und bei meinem vierten war ich in der Endrunde, ich spielte Hamlet und der Leiter sagte: Das ist doch GZSZ! Und ich habe gespürt, wie seine Meinung den Raum füllte. Da habe ich gemerkt, wie selbstverständlich du als Schauspieler unmündig bist und wie viel du dir gefallen lassen musst. Ich hab dann bei P14 angefangen zu inszenieren und zu schreiben, zuerst die „Orestie“, mit einer Freundin zusammen. So fing das an. Bei P14 war dann auch jemand, der mir von dem Studiengang Szenisches Schreiben erzählt hat, der hat gesagt: Bewirb dich doch mal! Und das habe ich dann gemacht.
Und das vierjährige Studium an der Berliner Universität der Künste hat dir das Schreiben beigebracht?
Oft wird man gefragt: Hey, wie unterrichtet man eigentlich Schreiben? Und ich glaube, es wird tatsächlich nicht unterrichtet, es ist vielmehr so, dass man einen Input bekommt, ein geisteswissenschaftliches Spektrum zum Beispiel. Dann gibt es da einen tollen Dozenten, mit dem machst du im ersten Semester einmal komplett die Antike durch, dann den Shakespeare, dann die Weimarer Klassik. Und es gibt viele spannende Gastdozenten, Roland Schimmelpfennig oder Dietmar Dath oder René Pollesch. Ansonsten hat man sehr viel Zeit fürs Schreiben oder andere Dinge. Es ist ein bisschen wie Grundschule: Man kommt immer in denselben Raum, und es sind immer dieselben Leute da, nur die Lehrer wechseln. Vor allem wird man aber immer wieder ermutigt und manchmal auch aufgefordert, zu lesen und zu schreiben, egal was.
Du hast auch weiterhin Ambitionen im Inszenieren, auch als Filmemacher. Ist das eine studienbedingte Ernüchterung, weil das Sprungbrett zum Theaterautor manchmal hakelt?
Es ist alles ein komischer Zufall. Man kommt in diesen Studiengang Szenisches Schreiben, und auf einmal bist du Autor. Dabei bin ich vielleicht auch ein Knallerregisseur! Aber eigentlich will man alles machen, was richtig ist. Wenn Xavier Dolan, der ungefähr mit elf seinen ersten Blockbuster gedreht hat und alle Festivals gewinnt, wenn der mit 20 in ein deutsches Theater gekommen wäre und gesagt hätte: Ich habe hier ein Stück geschrieben, das würde ich gerne inszenieren und die Hauptrolle spielen!, dann wäre er gefragt worden: Aber was bist du denn, bist du Schauspieler? Oder Regisseur? Oder Autor? Bewirb dich doch erst mal an der Hochschule für Musik und Theater in Soundsostadt!
Man hat eine Idee und will die gerne realisieren, etwa einen Dokumentarfilm drehen, ein Bild malen oder eine neue U-Bahn-Linie buddeln unter dem Deckmantel der Performance im öffentlichen Raum! Die Antwort ist dann: Aber du bist doch Autor! – Man kann eigentlich nur seinen Kram machen, und das ist eigentlich ganz schön, weil eh niemand gern auf Premierenpartys geht.
Wobei man sich in unserer Generation ja ganz oft sagt, dass man zwingend Beziehungen haben muss und auch Glück, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Aber das sagt ja leider fast niemand, der schon erfolgreich ist. Wenn man megaerfolgreiche Leute hört und liest, sagen die ja immer: Das ist ganz, ganz, ganz viel harte Arbeit. Alle beten das runter: Es ist keine Begabung, kein Glück, Intelligenz und Schönheit spielen auch keine Rolle, es ist alles nur harte Arbeit. Aber wahrscheinlich ist das ziemlicher Scheiß.
Im Juli nächsten Jahres wird „Traurigkeit & Melancholie“ in Bonn uraufgeführt. Es wird die erste größere Inszenierung eines deiner Texte an einem Stadttheater sein. Wie ist das so, den Text wegzugeben?
Mittlerweile ist das sehr gut, aber am Anfang war das enorm schwierig, zum Beispiel als ich 2011 mit meinem ersten Stück „Die Leiden des jungen Super-Mario in 2D“ in Heidelberg war. Da war alles gut – der Regisseur, die Schauspieler, die Bühne –, und trotzdem saß ich da und habe mir die Nägel runtergekaut. Ich weiß gar nicht mehr, wieso eigentlich. Ich glaube, jetzt schütze ich mich davor, indem ich Texte schreibe, bei denen ich einfach gar keine Vorstellung habe, wie das aussehen soll.
Als wir „Traurigkeit & Melancholie“ in einer szenischen Lesung ausprobiert haben, haben manche Leute danach gesagt: Das war nur eine Stunde, aber es hat sich angefühlt wie drei. Das war eigentlich eine ganz schöne Beschreibung, weil es ja eigentlich heißt: Das war ganz schön nervig, was du hier gerade gemacht hast. – Ich glaube, damit haben wir etwas gemacht, was diesem Text entspricht.
Beispielsweise ein anderes Zeitempfinden zu vermitteln, so wie es der Protagonist im Stück erleben muss, der ja eine reale Vorlage hat: den Lonesome George, eine Riesenschildkröte auf den Galapagos-Inseln. Du hast „Traurigkeit & Melancholie“ eine Woche vor seinem Tod geschrieben.
Ja, das war im Juni 2012. Wie das halt so ist: Man guckt in die Leere des Internets und dann findet man so Listen wie „25 most ugly fishes in the world with pianos in space“, dann stößt du irgendwann auf dieses süße Gürteltierchen, das über eine dicke geduldige Katze rollt, und dann auf jenes, und dann läuft das so durch, und irgendwann kommt dieser Artikel über diese Schildkröte, die die letzte ihrer Art ist und nur noch darauf wartet zu sterben – das war das Traurigste, was ich je gehört habe. Und dann fand ich, das wäre ein guter Stoff.
Aber man weiß nicht, ob die echte Schildkröte nicht ganz zufrieden war in ihrem Sosein.
Doch, doch! Die war traurig. Das weiß man!
Hat der George deines Stückes eine ausgewachsene Depression oder bläst er nur Trübsal? Letzteres jedenfalls kann ja hin und wieder ganz heilsam sein: sich in sich zurückziehen, um Kraft zu schöpfen. Oder muss man den Grad der Schwermut gar nicht weiter benennen?
Gute Frage. Die öffentliche Diskussion um Depression ist so präsent, so verdammt präsent einfach, ich finde es schwer, dazu meine eigenen Gedanken zu hören. Ich hab das Gefühl, dass es da diese zwei Lager gibt. Die einen sagen: Dein Haushalt der Hormone, deine Schilddrüse, dafür kannst du nichts und das ist echt! Andere sagen: Ja okay, du bist schlecht drauf, ich bin auch manchmal schlecht drauf, reiß dich mal zusammen und hör auf zu heulen! Da gibt es halt die Mahner und die Spötter, aber auf jeden Fall ist es doch auch Pop und oft komischerweise sexy, und manchmal, glaube ich, will es jeder irgendwie haben. So verrückt ist die Welt! Vielleicht funktioniert der Text auch so, dass er genau das anspricht auf irgend so einer Metaebene. Ich weiß nicht.
Die Frage ist dann vielleicht, wie lange man schlecht drauf ist oder wie raumgreifend einem das den Alltag unmöglich macht. Der Doc in dem Stück ist ziemlich genervt von George bzw. von der Volkskrankheit und sehnt sich nach der Zeit zurück, als er tatsächlich noch helfen konnte, als er es noch mit „echten“ Kranken zu tun hatte, mit „Armen und Beinen“.
Egal, an was man sich misst: Im Vergleich zu diesem Max Mustermann fühlt man sich immer unproduktiv. Da geht’s einem dann scheiße. Dabei hockst du ja nie an seinem Arbeitsplatz. Setz dich da mal hin und guck, was der da eigentlich wirklich macht. Das würde wahrscheinlich vieles erleichtern.
Manche sagen ja sowas daher wie: Jeder Mensch sollte mal zum Therapeuten gehen. Weil da irgendwas in dir ist, das du besser aufräumen solltest.
Das ist ja andererseits genau der Grund, warum man nicht zur Therapie gehen sollte. Diese Aufforderung heißt ja eigentlich: Mach das, damit du effektiver wirst, schneller, effizienter und leistungsfähiger, kurz: ein besserer Mensch. Das ist dann etwas, das dich wahrscheinlich direkt wieder in die Depression schleudert. Ein komischer Kreis! //