Theater der Zeit

Schöne Aussicht!

Ein Vorwort

von Bernd Mand

Erschienen in: Schöne Aussicht – Kinder- und Jugendtheater in Baden-Württemberg (06/2012)

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Richtige Erfolgsmodelle werden dieser Tage nicht mehr ganz so schnell gefunden, Leuchttürme werden dafür aber immer höher gebaut, und von vielem wird sich immer noch mehr versprochen. Gut, wenn es da jemanden gibt, der weiß, wie man ein Versprechen hält. Die Macher des Kinder- und Jugendtheaters in Baden-Württemberg wissen das schon seit einigen Jahrzehnten. Und zwar auf vielen Ebenen. Etwa bei der Entwicklung von Fördermodellen, innovativen Projektideen für die Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen oder bei der Weiterentwicklung von theatralen Erzählmodellen – die junge Theaterszene ist ständig in Bewegung, und das nicht zuletzt, weil hier Menschen zugange sind, die genau wissen, warum sie Theater für ein wachsendes Publikum machen.

Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die baden-württembergische Theaterszene selbst. Den einen geht es vor allem darum, dass Theater für Kinder und Jugendliche immer auch Kunst bleibt und nicht vom pädagogischen Zeigefinger erdrückt wird. Andere verstehen sich als „Schule sozialen Verhaltens“, und an wieder anderer Stelle setzt man den Schwerpunkt eindeutig auf die künstlerische Arbeit mit Jugendlichen. Das internationale Festival „Schöne Aussicht“ bringt die Theatermacher dann zum internationalen Austausch zusammen, und der baden-württembergische Jugendtheaterpreis setzt sich alle zwei Jahre mit hohem Preisgeld und sachverständigem Renommee für die Förderung von neuem Stückmaterial für die Bühnen des Landes ein.

Egal ob freie Theatergruppen, Landesbühnen oder feste innerstädtische Institutionen, die Bühnen für die jungen Zuschauer sind wagemutig, fordernd und bereit, sich den wechselnden gesellschaftlichen Anforderungen an zeitgenössisches Theater zu stellen. Dieses Buch versucht sich an einem Überblick mit Ausblick. Es schaut hinter den Moltonvorhang und sucht nach den szenischen Prozessen in der theatralen Praxis, analysiert die Position des jungen Theaters im steinigen Feld der kulturellen Bildung und erzählt aus dem Alltag der Theatermacher. Vom Musiktheater für junges Publikum über die Schwierigkeiten des Gastspielbetriebs im nicht immer flachen Land bis zum streitbaren und manchmal auch lästigen Thema des Weihnachtsmärchens schaffen die Autoren einen freien Blick auf eine Kunstsparte, die nicht nur zu spielen und zu unterhalten weiß, sondern sich aktiv in gesellschaftliche Zusammenhänge einmischt und stets nach klugen, kreativen Mitteln der Auseinandersetzung und Reflexion sucht.

Welches Theater hat heute noch Relevanz für Zuschauer zwischen den ersten neugierigen Schritten und dem Ende der letzten Pubertätsunsicherheiten? Was können wir von einem jungen Publikum fordern und, noch viel wichtiger, was fordert es von uns, den vermeintlich Ausgewachsenen? Ist da noch Platz zwischen Kunst und Pädagogik, oder muss doch einer das Feld räumen? Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob die Sache mit dem Wachsen jemals wirklich beendet ist.

Theatermacher, Theaterwissenschaftler und Kulturjournalisten legen die Sicht frei auf historische Strukturen, künstlerische Motivationen und die eine oder andere Druckstelle auf dem rotbäckigen Apfel der jungen Kulturlandschaft zwischen Neckarspitze und Bodensee. Dabei wachsen basisdemokratische linksgerichtete Kollektive zu Theaterpionieren heran, fördern Stadttheater mit Herz und Verstand neue Spielarten, und langjährige Begleiter des Theaters für ein junges Publikum erzählen davon, dass es nicht immer einfach ist, dem Kinder- und Jugendtheater zu einem Platz in der Gesellschaft zu verhelfen. Da nützen auch Schlagworte wie kulturelle Bildung nicht viel, denn in der Praxis steht Friedrich Schiller noch allzu oft über F. K. Waechter, und strahlende Kinderaugen zählen an vielen Orten immer noch mehr als die Fragen, die ein junger Mensch sich beim Wachsen stellt. Die junge Theaterlandschaft in Baden-Württemberg stellt sich diesen Fragen tagtäglich und findet Antworten, die sich mit großer Neugier und einem steten Willen zur Veränderung der Welt stellen. Was zeigt, dass man hier mit der Arbeit und dem Denken nie fertig ist. Und das ist gut für alle, die eben noch nicht erwachsen sind oder es vielleicht auch gar nicht sein wollen.

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