»Die Realität sieht anders aus«
Wie die EU-Grenzpolitik unser künstlerisches Arbeiten beeinflusst
Erschienen in: Kampnagel Hamburg. 40 Jahre Widerspruch – Workbook zum Jubiläum (07/2024)
Assoziationen: Freie Szene
Unseren ersten Auftritt auf Kampnagel hatten wir im Jahr 2004 mit »Rekolonisation«, einer Gruppe von Künstler*innen, Nachbar*innen und Freund*innen, die Brunnen gruben, Wasser filterten, mit Tellern warfen, Booten hinterherschwammen, informellen Handel trieben, aus Privatwohnungen flüchteten und sich unsichtbar durch die Stadt bewegten. Es ging um informellen Handel, Flucht und Kampf. Wir transportierten Situationen aus weniger abgesicherten Gesellschaften nach Hamburg und ließen sie ohne Erklärungen auf die dortige Realität prallen. Sicher entstanden diese Ideen auch unter dem Eindruck des Ausbruchs der Rebellion in der Côte d’Ivoire im Jahr 2002 und deren Folgen, von denen einige Mitglieder unserer Gruppe direkt betroffen waren.
Damals war ich Teil einer Szene
Mehr als hundert Aktionen sind mit »Rekolonisation« innerhalb eines Jahres im öffentlichen Raum entstanden, zum Teil gar nicht dokumentiert oder in kleinen Schnipseln, die versteckt gefilmt wurden. Kathrin Tiedemann, damals Dramaturgin auf Kampnagel, vertraute auf die Kraft dieser Interventionen und lud uns ein, einen Abend darüber auf Kampnagel zu gestalten. Wir versagten bei der Präsentation: Jochen Dehn, der Mitbegründer von »Rekolonisation«, vergaß seine Brille und fand die Schnipsel nur mit Mühe auf dem Computer; mein improvisierter Dialog mit Arzt und Mit-Performer Costa Christofides über blaue Flecken, Verletzungen und den Wert des Unabgefederten ging nach...