2.1. Agrippina: Von Freud zu Lohenstein und zurück
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Sieht man sich die Auflistungen sprachlicher und rhetorischer »Stilmittel« näher an, die insbesondere dem deutschen Trauerspiel immer wieder zugerechnet werden, dann fällt in der Tat auf, dass sie eine erstaunliche Kongruenz mit den grammatischen Bestandteilen der »Traumsprache« aufweisen, wie sie an der Wende zum 20. Jahrhundert von Freud entziffert und später linguistisch reformuliert worden ist. Im Kontext der Angelo-Figur war bereits kurz von Metapher und Metonymie als Gestalten der Verdichtung und Verschiebung die Rede. Über diese beiden Tropen hinaus hat Lacan einmal festgestellt, dass »Ellipse und Pleonasmus, Hyperbaton und Syllepsis, Rückgriff, Wiederholung und Apposition (…) syntaktische Verschiebungen, Metapher, Katechrese, Antonomasie, Allegorie, Metonymie und Synekdoche (…) semantische Verdichtungen (sind), in denen Freud uns die angeberischen und demonstrativen, die heuchlerischen und überzeugenden, die zurückweisenden und verführerischen Intentionen lesen lehrt, mit denen das Subjekt seine Traumrede schmückt.«29 Tatsächlich bilden die Parallelen zwischen Traumgrammatik und rhetorischer »ars eloquendi« spätestens seit Lacan ein »eigenes Thema in der Selbstreflexion der Psychoanalyse als Wissenschaft«.30 Und umgekehrt hat von philologischer Seite her beispielsweise Samuel Jasse gezeigt, dass Freuds vier Momente der Traumarbeit »eine auffallende Ähnlichkeit zu einer anderen Arbeitsgruppe von vier ›Momenten‹ (zeigen), die innerhalb der Tradition rhetorischer und grammatischer Lehre wohlbekannt ist – den sogenannten ›vier Änderungskategorien‹,...