Theater der Zeit

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Das Reale der Perspektive

Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur

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Assoziationen: Sebastian Kirsch

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Vorbemerkung

1922 veröffentlichte Walter Benjamin seinen Essay »Erfahrung und Armut«, der eine katastrophische Entwertung von Wissensbeständen, Überlieferungen und handwerklichen Kenntnissen zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieb und der heute zu seinen meistzitierten Arbeiten gehört. Besonders eindrücklich ist Benjamins Schilderung der technisierten Schlachten des 1. Weltkriegs, deren unendlich nichtende Gewalt nicht mehr zur Mitteilung oder Erfahrung taugte: Nein, soviel ist klar: die Erfahrung ist im Kurse gefallen und das in einer Generation, die 1914 – 1918 eine der ungeheuersten Erfahrungen der Weltgeschichte gemacht hat. Vielleicht ist das nicht so merkwürdig wie das scheint. Konnte man damals nicht die Feststellung machen: Die Leute kamen verstummt aus dem Felde? Nicht reicher, ärmer an mitteilbarer Erfahrung. Was sich dann zehn Jahre danach in der Flut …

1. DAS UNTOTE IN DER KULTUR

Kapitel I: Das Untote in der Kultur

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  • 2.2. Barocker Zickzack

    Versucht man einen direkten Vergleich zwischen Galileis Tasso-Kritik und Goethes Bericht, die immerhin knapp 200 Jahre trennen, so zeigen sich also erstaunliche Ähnlichkeiten: In beiden Fällen wird ein Wahnsinn diagnostiziert, …

    von Sebastian Kirsch

  • 2.3. Das Automaton des Barock

    Als stummer und dabei zugleich das Sprechen und Schreiben umso stabiler bestimmender Mechanismus pflanzt sich das barocke Zickzackmuster also durch die Jahrhunderte in Kunst und Wissenschaft fort. Unerschütterlich und von …

    von Sebastian Kirsch

  • 3.1. Benjamins souveräner Veitstanz

    Wie lässt sich nun schreibend dem barocken automaton gerecht werden, dessen stumme Kraft ja nur allzu schnell in einen Veitstanz hinübergleiten lässt, der dem des unglücklichen Mädchens mit den roten …

    von Sebastian Kirsch

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  • 3.2. Vertigo und Vertiko

    In diesem Zusammenhang ist noch einmal die »vertiginöse Attraktion« des Barock von Interesse, vor der Benjamin im Brief über Cysarz warnt und die man auch als das »bezeichnende Schwindelgefühl, in …

    von Sebastian Kirsch

  • 4. Benjamin, Lacan, Deleuze: Narziss ± Ikarus

    Es gibt auch noch eine mathematische Version des »vertex«, des »Scheitel-« oder »Wendepunktes«: Als »Inflexion« gehört er in den Bereich der Kurvendiskussionen und der Infinitesimalrechnung, genuine Produkte der barocken Mathematik, …

    von Sebastian Kirsch

Kapitel II: Die Spaltung im Sichtbaren als optische Falte

  • Weniger und mehr als zwei

    Was ist eine Falte? Es fällt auf, dass der Begriff sich auf diverse und heterogene Disziplinen und Materialien erstreckt, namentlich auf die Mathematik, die Geologie, die Dermatologie, die Schmetterlingskunde, auf …

    von Sebastian Kirsch

  • 1.2. Ein vollständiges Verständnis der Hölle

    Wie verhält sich demgegenüber nun Galileis akribische Höllenvermessung, die gegen die theologischen bzw. qualitativen Implikationen des Gegenstandes vollständig abgedichtet scheint? Tatsächlich dürfte sie zunächst einmal vom Untergang des Analogiedenkens um …

    von Sebastian Kirsch

  • 1.1. Der Schwerpunkt des Universums

    Zuerst also zur Geschichte jener Seite des Sehfelds, die Lacan die »geometrale« nennt, zur Geschichte des ersten der beiden Dreiecke, und damit zurück zur Geschichte der Vermessungsversuche von Dantes Inferno. …

    von Sebastian Kirsch

  • 1.3. Raumordnung und Lichtordnung

    Und dennoch: Zwischen Dantes Höllenschilderung und ihrer geometrischen Nachbildung gibt es eben nicht nur einen Bruch. Denn wie bereits in Kapitel I angedeutet, gehen die beiden Texte in gewisser Weise …

    von Sebastian Kirsch

  • 2.1. Blinde Apparaturen

    Um sich dem Visuellen nähern zu können, ist zunächst eine weitere terminologische Schwierigkeit zu klären, die Lacans – in toto wenig ausgeführte – Rede von der Spaltung von Auge und …

    von Sebastian Kirsch

  • 1.4. Das geometrale Dreieck

    Wie sieht nun Lacans diagrammatische Verbildlichung der geometralen Dimension des Sehens aus? Zunächst einmal ist dieser Modus – deswegen auch Lacans Hinweis auf die cartesianische Meditation – konstitutiv für jene …

    von Sebastian Kirsch

  • 3.1. Der Analytiker als Konserve

    Bis hierher geht es allerdings noch immer um eine rein subjektlose Angelegenheit. Was passiert nun aber, wenn man wie Galilei oder Goethe einen Raum betritt, der Züge eines visuellen Leuchtraums …

    von Sebastian Kirsch

  • 3.2. Die Doppelfunktion des Blicks

    Aber noch einmal zu Petit-Jean. Es geht, wie gesagt, beim Blick letztlich immer um einen schockartigen, »tychischen« Moment, der die Selbstgewissheit und Selbstgenügsamkeit des Schauenden unterbricht. Der Blick durchschlägt das …

    von Sebastian Kirsch

  • 3.4. Schizophrenie und Paranoia

    Doch noch einmal zum Subjekt in seinem Verhältnis zum Licht. Wer oder was den Leuchtraum betritt, wird auf die beiden Positionen des Schirms und des Tableaus aufgeteilt. Sich in dieser …

    von Sebastian Kirsch

  • Ausblick: RSI

    Anamorphose und Spiegel sind also die beiden gegenstrebigen Gelenke oder Falten, anhand derer das geometrale und das visuelle Schema sich trennen und zugleich ineinander übergehen. Wie aber ist zu bewerten, …

    von Sebastian Kirsch

Kapitel III: Maßnahmen 1604

Kapitel IV: Zerstückelungen und Entstellungen

  • Zerstreute Glieder

    Infolge der Deterritorialisierung des Sehens um 1600 streut das neue Jahrhundert anamorphotische Bruchstücke ins Endlose. Im Gegenzug entstehen komplementäre Zentrierungsstrategien, die dem Wuchern der Sichtbarkeiten zu begegnen und es zu …

    von Sebastian Kirsch

  • 1.1. Quevedos Großes Weltgericht

    Zunächst also die Körper im Hochbarock Quevedos und im satirischen Harmagedon, das in den »Sueños« entfesselt wird. Zwar inszeniert Quevedo das Gottesgericht des Jüngsten Tages explizit nur im ersten der …

    von Sebastian Kirsch

  • 1.2. Höllenpastete

    Ähnliche Beschreibungen von zerstückelten und zerfallenden, aber auch von über alle Maßen ausgezehrten und schrecklich entstellten Körpern tauchen nun auch in den übrigen »Sueños« inflationär auf. Zu Beginn des dritten …

    von Sebastian Kirsch

  • 2. Gargantua und Pantagruel

    Wie verhält sich Quevedo nun zu Rabelais? Schließlich sind wiederkehrende Bilder von zerstückelten Körpern und isolierten Partialobjekten sowie drastische satirische Umkehrungen nicht die einzigen Merkmale, die dessen Erzählungen vom Riesen …

    von Sebastian Kirsch

  • 3.1. Die Falten der Haut

    Zunächst, um die Problematik deutlicher zu machen, noch einmal zu Rabelais bzw. zu dessen Lektüre durch Bachtin. Bachtins prominente, »Gargantua und Pantagruel« abgewonnene These lautet, dass vom Mittelalter bis zum …

    von Sebastian Kirsch

  • 3.2. Körperwissen, vor und nach 1600

    Zunächst einmal ist es, wenn man noch einmal an Dürers Pförtchen denkt, nicht schwierig zu erkennen, inwiefern das in seine scheinbar geschlossenen Konturen gefasste Körperbild immer schon Resultat einer vorgängigen …

    von Sebastian Kirsch

  • 3.3. Jenseits des Signifikanten?

    Der Unterschied zwischen den ausgetrockneten Einzelteilen Quevedos und der saftstrotzenden grotesken Leiblichkeit Rabelais’ lässt sich nun auch auf die Differenz zwischen einer endlosen Serie »körperloser Organe« und dem »organlosen Körper« …

    von Sebastian Kirsch

  • Ausblick: Vom Körper zur Sprache

    Fast unmerklich haben diese Überlegungen nun vom Feld des Sehens in das des Sprechens übergeleitet. Im folgenden Kapitel wird es darum, vor allem mit Blick auf den deutschsprachigen Barock, um …

    von Sebastian Kirsch

Kapitel V: Traumsprache und Spiegelzeichen

  • Vom Bildbarock zum Wortbarock

    Herbert Cysarz hat 1924 eine Unterscheidung zwischen »Wortbarock« und »Bildbarock« getroffen, die in der Forschung zum 17. Jahrhundert vielfach aufgegriffen worden ist.1 Auch in unsere Zusammenhänge lässt sich Cysarz’ Bestimmung …

    von Sebastian Kirsch

  • 1.1. Träumen oder Wachen?

    Zunächst also zu jenem Begriff, der innerhalb der rationalistischen Strömungen des 17. Jahrhunderts ein Zentrum der Auseinandersetzung bildet und der zugleich für die Sphäre des Traums konstitutiv ist: der Begriff …

    von Sebastian Kirsch

  • 1.2. Einschlafen als Umfaltung

    Zunächst diskutiert Hobbes hier – ähnlich wie Descartes – die Notwendigkeit, den Traum, definiert als die »Vorstellungen (imaginations) Schlafender«,23 und das wache Bewusstsein gegeneinander abzugrenzen. Freilich hält er sofort fest, …

    von Sebastian Kirsch

  • 2.3. Ein Plädoyer für den Inzest

    Die überquellende Traumsprache, die entfesselte Sprache des deutschen Trauerspiels mit ihren unabsehbaren Simulationen und Dissimulationen und die »mütterliche« lalangue bilden also einen wechselseitigen Zusammenhang, der speziell in der genealogischen Krise …

    von Sebastian Kirsch

  • 3.1. Barockes Traumtheater

    Wie sehen nun die rhetorischen Elemente des Traumes genau aus, und inwiefern sind sie der barocken Sprache vergleichbar? Immer wieder betont Freud in der »Traumdeutung«, dass »der Traum (fast) nie …

    von Sebastian Kirsch

  • 3.2. Der Autor als Träumer

    Da die Architektur der Traumgebilde einem barocken Konglomerat von Anamorphosen korrespondiert, ist es logisch, dass sich auch die Schwierigkeiten der Rezeption bzw. Lektüre ähneln. In beiden Fällen sieht der Leser …

    von Sebastian Kirsch

  • 3.3. Traum und Allegorie

    Lektürebeispiele wie die »Genitalien« haben Freuds »Traumdeutung« natürlich immer wieder den Vorwurf des unwissenschaftlichen Analogieschlusses eingetragen. Dem ist jedoch zunächst einmal entgegenzusetzen, dass der Vorwurf des Analogieschlusses von jener neuzeitlichen …

    von Sebastian Kirsch

  • 5.1. Zur Metonymie

    Das Thema des Herrensigifikanten hat Lacans Reformulierung der »Traumdeutung« bereits angerissen. Abschließend möchte ich nun noch zu seiner linguistischen Deutung der Traumarbeit kommen. Zu Beginn der »Maß für Maß«-Lektüre in …

    von Sebastian Kirsch

  • 5.2. Kontextualität und Ähnlichkeit

    Wie lassen sich die Nachbarschaftsverhältnisse genauer definieren, nach denen in der Metonymie ein Wort das nächste nach sich zieht? An dieser Stelle erweitert Lacan Jakobsons Begriffsbildung, die in einem präsenzmetaphysischen …

    von Sebastian Kirsch

  • 6. Zur Metapher

    Nun ist mit alledem noch nichts darüber gesagt, wie das Signifikat – oder besser: der Signi­fikatseffekt – überhaupt zustande kommt. Und in diesem Zusammenhang geht Lacan nun zur Funktion der …

    von Sebastian Kirsch

  • Ausblick: Linguisterie und Lalangue

    Lacan entwickelt seine Version von Metapher und Metonymie in der Frühzeit seiner Seminare, zu einem Zeitpunkt, als er mit kybernetischen Modellen und Begrifflichkeiten experimentiert (Jakobson war als Linguistik auch Kybernetiker). …

    von Sebastian Kirsch

Kapitel VI: Barocke Räume

  • Vom Traum zum Raum

    Bislang habe ich das schwierige Thema des Raumes nur implizit bearbeitet, nämlich von Fragen der Bildlichkeit her. Doch damit ist vernachlässigt worden, dass gerade das 17. Jahrhundert eine Raumdiskussion in …

    von Sebastian Kirsch

  • 2.2. Räume und Bühnen

    Was bedeutet das alles nun für das Theater? In einem Vortrag mit dem Titel »Barocke Heterotopien« aus dem Jahr 2009 hat Ulrike Haß die verblüffende Tatsache näher beleuchtet, dass die …

    von Sebastian Kirsch

  • 3.1. Relative Zeiten

    Wie verhält es sich nun mit den Zeittheorien des 17. Jahrhunderts? In Newtons Physik erscheint Zeit, parallel zum Raum, als Absolutum, als gleichförmiger, pfeilartiger Strom, in dem die Dinge quasi …

    von Sebastian Kirsch

  • 3.2. Zeit des Werdens

    Entscheidend ist also: Die Gegenüberstellung entgegengesetzter Zustände im Sinn einer kausalen und damit zeitlichen Relation wird von Leibniz nicht auf einer substantiellen Ebene angesiedelt, sondern nur auf einer reinen Phänomenebene, …

    von Sebastian Kirsch

  • 4. Monaden

    All diese Überlegungen entspringen letztlich dem philosophischen System der »Monadologie«, mit dem Leibniz eine völlig neuartige Antwort auf das Problem der kleinsten substantiellen Einheit gibt. Denn die Monade, die man …

    von Sebastian Kirsch

  • 5.1. King Lear

    Ähnlich wie »Maß für Maß« ist »King Lear« als spätes Shakespearestück (1605/1606) zu einem Zeitpunkt entstanden, als der Einfluss der italienischen Illusions- und Perspektivbühne sich in England geltend zu machen …

    von Sebastian Kirsch

  • 5.3. Vom Abschluss der Analyse

    Es gibt also eine ganze Reihe von Vertikalen, mindestens fünf, die sich in Shakespeares wahrhaft apokalyptischem Stück selbstähnlich und wie in einer Kettenreaktion übereinanderfalten und zusammenknüllen: die des göttlichen Kosmos …

    von Sebastian Kirsch

Postskriptum 1

  • 1. Panopticon Writings

    Eine berühmte, niemals verwirklichte Szenenidee Alfred Hitchcocks für seinen Film »North by Northwest« (»Der unsichtbare Dritte«) handelt von zwei Männern, die durch eine vollautomatische Autofabrik gehen. Während sie miteinander sprechen, …

    von Sebastian Kirsch

  • 2. Ineinandergeschobene Dreiecke

    Wie lässt sich diese Anordnung in die Lacan’schen Dreiecksdiagramme übersetzen? Um das zu beantworten, ist zunächst der Zweiseitigkeit der panoptischen Architektur Rechnung zu tragen. Denn anders als das Pförtchen kalkuliert …

    von Sebastian Kirsch

Postskriptum 2

  • Barockes 20. Jahrhundert

    Dass das 20. Jahrhundert einer Wiederkehr oder auch einer veränderten Wiederholung des 17. Jahrhunderts gleichkomme, war eine Ansicht, die besonders nach dem Ersten Weltkrieg Schriftsteller, Forscher und Philosophen verschiedenster Couleur …

    von Sebastian Kirsch

  • 2.1. Der Brotladen

    Dass es keinen Anderen des Anderen gibt, bedeutet auch, dass es im Fall eines wie auch immer gearteten Verlustes letztlich keine Instanz gibt, bei der man sich sinnvoll beschweren oder …

    von Sebastian Kirsch

  • 2.2. Brechts Auftrag

    Nun arbeitet der »Brotladen« sich auch an der Frage ab, wie ein gesellschaftlicher Raum überhaupt beschrieben und dargestellt werden kann, der sich über einen inkonsistenten und darum permanent sich wandelnden, …

    von Sebastian Kirsch

Literatur

  • Siglen

    Bl = Bertolt Brecht: »Der Brotladen« BOa = Jacques Lacan: »Vom Blick als Objekt Klein a« DdS = Ulrike Haß: »Das Drama des Sehens« DP = Leon Battista Alberti: »Della …

    von Sebastian Kirsch

  • Bildnachweis

    Bildnachweis Albrecht Dürer: »Der Zeichner des liegenden Weibes«, Holzschnitt, Nürnberg 1538; entnommen: Leon Battista Alberti: »Della Pittura«, S. 17 Jacques Lacan: Schema für die geometrale Komponente des Sehens; entnommen: Jacques …

    von Sebastian Kirsch