3 Interperformative Bezüge
von Julia Kiesler
Erschienen in: Recherchen 149: Der performative Umgang mit dem Text – Ansätze sprechkünstlerischer Probenarbeit im zeitgenössischen Theater (09/2019)
3.1 Zum Begriff der Interperformativität
Jedes Betreten einer Probebühne ist unweigerlich mit dem verbunden, was dort bereits geschehen ist, einem Fundus ehemaliger Inszenierungen, abgelegter Formen, verworfener Ideen. Und wie der leere Raum zum Bild für eine Offenheit des Entwerfens wird, verweisen diese Reste auch als Archiv früherer Inszenierungen auf die Beschränkungen dieses Entwurfs, der immer auch Refiguration, Zitieren und Arrangieren des bereits Vorhandenen bedeutet. (Matzke 2011, 47)
Nicht nur in jedem Akt der Rezeption, auch in jedem Akt der Produktion und so auch in allen drei beobachteten Probenprozessen wird der Bezug zu bestimmten Traditionen hergestellt. Alle drei Regisseur/-innen beziehen sich, zum Teil namentlich, auf bestimmte Theatermacher, Regiestile, Spiel- und Sprechweisen bzw. grenzen sich von ihnen ab. Dieser Umstand lässt sich mit dem Begriff der „Interperformativität“ beschreiben, der wiederum vom Begriff der Intertextualität, „also dem dialogischen Bezug der Literatur auf überlieferte Darstellungsmittel, mit denen sich jeder Text auseinanderzusetzen hat, bevor er einen eigenen Ton findet“ (Meyer-Kalkus 2010, 28), abgeleitet ist (vgl. S. 145 ff.). Laut Meyer-Kalkus zielt der Begriff der Interperformativität darauf ab, dass jede/r Performer/-in und, so lässt sich ergänzen, auch jede/r Regisseur/-in den Erwartungen unterliegt, die sich aus der vergangenen und zeitgenössischen Aufführungspraxis bzw. Performancekunst ergeben. Sie werden der...