Dem Zuschauer auf den Leib rücken
1985/1987
von Helmar Schramm
Erschienen in: Arbeitsbuch 2016: Castorf (07/2016)
Der Regisseur Frank Castorf (Jahrgang 1951) leistete in den vergangenen Jahren eine höchst bemerkenswerte Theaterarbeit, die durch das eigenwillige Beleuchten von Lebensfragen unserer Zeit und durch den Versuch einer radikalen Mobilisierung von Geschichtserfahrung immer wieder kontroverse Diskussionen, lebendige Resonanz ausgelöst hat. Zugleich ging es dabei auch um heutige Bedingungen, Grenzen und Möglichkeiten von Theaterkunst. Am kleinen, seinerzeit sehr experimentierfreudigen Theater Anklam wurden, gemeinsam mit Bühnenbildner Hartmut Meyer und den beteiligten Schauspielern, ganz erstaunliche Projekte realisiert. Dazu gehörten u. a.: „Die Schlacht. Szenen aus Deutschland“ (Müller), 1982; „Othello“ (Shakespeare), 1982; „Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution“ (Müller), 1983; „Nora oder Ein Puppenspiel“ (Ibsen), 1985. Mit Arbeiten wie „Clavigo“ (Goethe), inszeniert in Gera, „Der Bau“ (Müller) in Karl-Marx-Stadt und „Bernarda Albas Haus“ (Lorca) in Halle konnte 1986 an die Anklamer Erfahrungen angeknüpft werden.
1.
Eisige, klare Winterluft dringt am Ende plötzlich in den völlig dunklen Raum, berührt die Zuschauer. Nora hat eine Tür geöffnet, ist gegangen. Wenn Torwald Helmer ihr schließlich nacheilen, sie zurückrufen will, bietet sich ein seltsames Schauspiel dar; man blickt über die kleine finstere Bühne hinaus ins Freie, und dort ist alles grellrot erleuchtet von Bengalischen Fackeln. Das kalte, künstliche Licht flackert langsam aus und verglüht.
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