Theater der Zeit

Ausland

Primitiver Herrscher im Frack

Krisen, Kriege, Theater – und Trump: Zur 56. Ausgabe des Theaterfestivals MESS in Sarajevo

von Senad Halilbasic

Erschienen in: Theater der Zeit: Wie es euch gefällt – Christian Friedel vertont Shakespeare (12/2016)

Foto Nikola Blagojevic
Foto: Nikola Blagojevic

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Neben den Aufführungen, den Begleitprogrammen und einem Theaterskandal wird das diesjährige Theaterfestival MESS in Sarajevo auch mit seinem Plakatsujet in der kollektiven Erinnerung des Festivalpublikums dieser kalten Oktobertage bleiben: Donald Trumps strenger Blick lauert drohend hinter den vier Buchstaben, die als bosnische Abkürzung für das „Festival für junge und experimentelle Bühnen Sarajevo“ stehen. Seine blonde, fragil wirkende Haarpracht dominiert das Bild und verweist in nahezu jeder Ecke der bosnischherzegowinischen Hauptstadt nicht nur auf das Festival, sondern auf die dunklen Zeiten, in denen wir leben. Der politische Rechtsruck, noch vor einigen Jahren als Damoklesschwert und dystopische Warnung in den europäischen Theatern verarbeitet, ist heute kein düsteres Zukunftsszenario mehr, sondern Realität. Das Plakatmotiv mit Trump ist eine ironisierende Erinnerung an den nationalistischen, homophoben und chauvinistischen republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Wobei bei der Auswahl des Motivs sicher kaum jemand daran geglaubt hätte, dass er tatsächlich wenige Wochen später der gewählte Präsident der USA und somit einer der mächtigsten Menschen der Welt sein würde. Seine immense Popularität und die gewonnene Präsidentschaftswahl sind Zeugnis einer Gesellschaft, die sich angesichts der Krisen leichter denn je von simplen populistischen Lösungsvorschlägen verführen lässt.

Gegenwärtige globale Krisen und deren Diskurse auf den Bühnen bilden den kuratorischen Schwerpunkt des diesjährigen MESS, welches auf eine 56-jährige Geschichte zurückblickt und selbst in den düsteren Jahren der Belagerung von Sarajevo fortgesetzt wurde. Beim MESS weiß man also, wovon gesprochen wird, wenn man sich zu Krisen programmatisch äußert. „The Sound of Fire“ des mexikanischen Künstlerkollektivs Lagartijas Tiradas al Sol macht sich auf eine dokumentarische Spurensuche im Mexiko der 1960er Jahre und fragt nach den gescheiterten Versuchen einer Revolution. Zeitzeugenberichte, projizierte Filmfragmente und Miniaturmodelle dienen der Gruppe als Werkzeug, um zu einem Verständnis für das Vergangene zu gelangen und Antworten für die Gegenwart zu finden. Heutige Krisen wiederum werden durch „While I was waiting“ des syrischen Autors Mohammad Al Attar dargestellt. Dass die Inszenierung des ebenfalls aus Syrien stammenden, derzeit in Damaskus lebenden Regisseurs Omar Abusaada überhaupt nach Europa kommen konnte, ist den diplomatischen Bemühungen zahlreicher kooperierender Theaterhäuser und -festivals zu verdanken. Es erzählt von einer Familie im Schockzustand, deren Sohn Taim in ein schweres Koma gefallen ist. Taim ist der Erzähler, wie ein Schlafwandler observiert er die zahlreichen unter der Oberfläche schlummernden innerfamiliären Konflikte. Zugleich wird er zu einem Sinnbild für das gegenwärtige Syrien, das komatös existiert, in einem undefinierbaren Limbus zwischen Leben und Tod, Hoffnung und Verzweiflung, wartend auf Rettung, die nicht eintrifft. Momente, die explizit vom Krieg handeln, legen sich während dieser Aufführung wie ein gespenstischer Schleier über den Publikumsraum des Nationaltheaters von Sarajevo. Die Aufmerksamkeit ist so konzentriert, die Reaktionen sind so intensiv wie in keiner anderen Aufführung des Festivals. Es liegt nicht unbedingt an dem Text, der aufgrund einer viel zu ausführlichen Exposition nur langsam zum Kern der Konflikte führt, sondern an der Theatergeschichte der Stadt, in der hier gastiert wird. Viele Anwesende haben das Theater während der Belagerung erlebt, zahlreiche Theaterschaffende wissen, wie es ist, während Granatenangriffen Proben zu haben und bedroht von Schüssen der Scharfschützen ins Theater zu laufen – und auch wie es ist, nur mit einer Sondergenehmigung der UNO zu Gastspielen ausreisen zu dürfen. Die unmittelbar folgenden Standing Ovations gelten der Courage der Theatermacher, die die Kunst aus Syrien am Leben erhalten, während so viel anderes um sie herum stirbt.

Die Preise für Schauspiel und Regie gingen ebenso wie der Grand Prix des MESS hingegen an Jernej Lorencis Interpretation von Alfred Jarrys „König Ubu“. Der 1896 in Paris uraufgeführte und später von Dadaisten und Surrealisten gefeierte Text erzählt durch sprachliche und dramaturgische Mechanismen des Absurden von der Machtsucht eines Königs, der seine Untertanen immer stärker unterjocht. Dieser Macbeth des Absurden ist in Lorencis Arbeit ein der Sexsucht und Völlerei vollkommen verfallener primitiver Herrscher im Frack, der das Publikum in den ersten Minuten nur auslacht, während er sich Essen in den Mund stopft. Der Exzess auf der Bühne wird in ungeahnte Ausmaße getrieben, die Untertanen und Ubus Ehefrau erdulden jeglichen Missbrauch durch den König, ja genießen ihn sogar. Die Figur des Ubu räsoniert mit dem Publikum, liest man in ihr doch die Parodie einer politischen Kaste des Balkanraums, welche von Korruption, Gier und Machtgeilheit geleitet die postjugoslawischen Länder in fatale Sackgassen geführt hat.

Und doch – in nachhaltigster Erinnerung bleiben wird das MESS 2016 weder durch erfolgreiche oder auch weniger erfolgreiche Gastspiele aus aller Welt. Auch nicht durch den parallel stattfindenden Produktionsmarkt MESS Market oder durch moderierte Panels zu Theater und Krieg, sondern durch einen Theaterskandal. Oliver Frljićs am HAU Hebbel am Ufer uraufgeführte Performance „Unsere Gewalt und eure Gewalt“, für den letzten Tag des Festivals programmiert, war kurz davor, abgesagt zu werden. Schuld daran war eine Kette an Fehlinformationen, ausgehend von einem Brief des Kardinals Vinko Puljić, der vor Blasphemie in dem Stück warnte. Nachdem sich auch Gerüchte um die Verhöhnung islamischer Symbole verbreiteten und im Internet (nicht nur anonyme) Anschlagsdrohungen gegen das Festival und seinen Direktor Nihad Kreševljaković folgten, sah sich dieser gezwungen, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Das reguläre Publikum hatte keinen Zutritt zur Aufführung, nur eine Fachöffentlichkeit sowie die Jury durfte nach einem hierfür angemieteten Security-Check samt Metalldetektor das Nationaltheater betreten. „In der Geschichte des MESS gab es zahlreiche kontroverse Aufführungen. Dass man so sensibel auf Frljić reagiert und dass sich Menschen, die niemals ins Theater gehen und seine Zeichen nicht verstehen, dazu äußern, zeugt nur davon, in welch paranoiden und schizophrenen Zeiten wir leben“, so Kreševljaković. Die Kompromisslösung, nur einigen wenigen Zutritt zu gewähren, wurde sowohl von Rechtspopulisten, die das Stück abgesagt sehen wollten, wie auch von linken Demonstranten vor dem Theatergebäude, die darin eine Beschneidung künstlerischer Meinungsfreiheit sahen, negativ aufgenommen. Wie man den Schritt auch werten mag – Frljićs blutig-sexuelle Performance spricht über das Europa, dem man auch in den übereilten medialen Reaktionen und den nachfolgenden Protesten und Sicherheitsvorkehrungen beim diesjährigen MESS wiederbegegnet: ein von Krisen und Kriegen bestimmtes, irritiertes, politisch fragmentiertes, verzweifelt nach einer klaren Identität strebendes Europa. Das Publikum wurde allabendlich an diesen Zustand der zerrüttenden Ungewissheit erinnert – nicht nur durch die Blicke Trumps. //

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