Theater der Zeit

Schwerpunkt

Vom langen Atem, Augenhöhe möglich zu machen

„Cultural Diversity“ braucht „Fair Cooperation“

„Fair Cooperation“ entwickelt sich mehr und mehr zum Schlüsselbegriff für den internationalen Kulturaustausch und ist die Basis künstlerischen Kooperierens. Damit werden Gelingensbedingungen theatraler Zusammenarbeit auf internationaler Ebene definiert, die zu einer Konzeption kulturpolitscher Strukturen in postkolonialen Zeiten beitragen und „Cultural Diversity“ ermöglichen.

von Wolfgang Schneider

Erschienen in: ixypsilonzett: Diversität? – Eine Herausforderung! (05/2018)

Assoziationen: Dossier: Zukunft des Kinder- und Jugendtheaters

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Seit 2005 gibt es die Konvention der UNESCO „über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ und die, die sich völkerrechtlich dazu bekannt haben, müssen alle vier Jahre in einem Staatenbericht Maßnahmen und Perspektiven dokumentieren. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist dazu verpflichtet und diskutiert unter anderem in sogenannten Konsultationen mit der Zivilgesellschaft, was 2019 vom Auswärtigen Amt nach Paris zu schicken wäre. Das Kinder- und Jugendtheater könnte dazu einen relevanten Beitrag leisten.

 „Cultural Diversity“ meint im Sinne der UNESCO die „vielfältigen Arten des künstlerischen Schaffens, der Herstellung, der Verbreitung, des Vertriebs und des Genusses von kulturellen Ausdrucksformen, unabhängig davon, welche Mittel und Technologien verwendet werden“. Und seit Annika Hampels preisgekrönter Forschungsarbeit ist „Fair Cooperation“ geradezu zur Blaupause geworden, um in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung ein Fundament dafür zu finden wie zwischen Nord und Süd jenseits postkolonialer Realitäten Gelingensbedingungen von Kulturarbeit im internationalen Kontext zu realisieren wären.
Fünfzig Jahre nach 1968 braucht es eine neue Aufgeklärtheit im weltweiten Umgang miteinander. Vierzig Jahre nach Hildegard Hamm-Brüchers Thesen zur Auswärtigen Kulturpolitik, in denen erstmals Entwicklungszusammenarbeit eine Rolle spielt und dreißig Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges braucht es vor allem eine europäische Kooperation, die jenseits von eurozentrischen Machtpositionen Modelle einer integrativen Programmatik kultureller Beziehungen umsetzt. Zwanzig Jahre nach Joschka Fischers Cultural Diplomacy, geprägt von den allgemeinen Menschenrechten, gedacht als Konfliktprävention und zur Friedenssicherung sowie zehn Jahre nach dem Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages, in der die pflichtigen Aufgaben definiert werden, braucht es mehr als die Einsicht, dass Kulturpolitik die Arbeit von Künstler_innen fördern muss.
 „Denn wenn irgendwer die Freiheit und Würde des Einzelnen diskutiert, einfordert, in aller Widersprüchlichkeit darstellt, die symbolischen Formen bereitstellt, in denen sie überhaupt gedacht und vor allem erlebt werden können, dann geschieht dies vor allem im Medium der Künste. Durch die Künste werden Individualität und soziale Gebundenheit thematisiert. Damit wirken die Künste weit über die Sphäre der künstlerischen Kommunikation in die Gesellschaft und prägen deren menschliche Sinn- und Zwecksetzung. Und deshalb bedarf es einer Kulturpolitik, die sich als Gesellschaftspolitik versteht und daher Kunst und Kultur ermöglicht, verteidigt und mitgestaltet.“ (Deutscher Bundestag 2008, S. 59)

Fernab von geostrategischen und ökonomischen Interessen

Die ASSITEJ hat mit ihren Mitgliedern in Deutschland hierzu einen Diskurs gestartet, der zentral den grundsätzlichen Anliegen der Internationalen Vereinigung des Theaters für ein junges Publikum entspricht, nämlich über nationale Grenzen hinweg, jenseits der politischen Konstellationen (Ost-West, Erste und Zweite und Dritte Welt) und fernab von geostrategischen und ökonomischen Interessen, eine Zusammenarbeit ermöglicht, die einzig und allein sowohl den Inhalten und der Ästhetik dienen als auch der Zielgruppe von Kindern und Jugendlichen.

Im Rahmen des Festivals „Hellwach“ 2017 am Helios-Theater in Hamm formulierte eine Werkstatt erste Ergebnisse. Internationale Festivals wurden als Orte identifiziert, die Beginn von Kooperationen sein können, um sich kennenzulernen und um zu sehen, was die jeweils anderen auf der Bühne kreieren. In Hamm wurden auch Handlungsempfehlungen entwickelt: Festivals müssten Räume für den künstlerischen Austausch bieten, „diejenigen sichtbar machen, die hinter den Produktionen und dem künstlerischen Profil eines Theaters stehen und Freiräume für offene Gespräche, Zeit für Ideen usw. bieten. Dies setzt voraus, dass Reisen zu Festivals – auch über eigenen Gastspiele hinaus – ermöglicht werden“. Es brauche Rechercheprozesse, in denen die Beteiligten das jeweils andere Land, das Publikum und die Produktionsbedingungen kennen lernen können, es brauche Vertrauen und Augenhöhe, es brauche nachhaltige Strukturen und deshalb auch Mittel und Möglichkeiten zum Capacity Building. Das klingt zum Teil sehr idealistisch. Ist es auch! Und das braucht es wohl, um darauf aufmerksam zu machen, wie es bisher um den Kulturaustausch bestellt war. Kulturelle Vielfalt ist nicht selbstverständlich, sie braucht Sensibilität in der Wahrnehmung, sie braucht aber auch die Probe der Praxis, damit sich im künstlerischen Zusammentun etwas ändert.

Koproduzieren will gelernt sein

Denn auch Koproduzieren will gelernt sein! Lernt man das an den Schauspielschulen, an den Regieinstituten, in der Theaterwissenschaft? Wo kommt das Wissen her, das es braucht, um einer „Fair Cooperation“ gerecht zu werden? Und ist das künstlerische Wirken im internationalen Theateraustusch auch kulturpolitisch durchdacht? Was weiß „Wanderlust“, das Programm der Bundeskulturstiftung? Was bleibt vom „Szenenwechsel“, dem Projekt des ITI mit Mitteln der Robert Bosch-Stiftung? Und wie nachhaltig ist der Internationale Koproduktionsfonds des Goethe-Instituts? Wie immer gibt es nicht nur eine Antwort, aber es gibt die Praxis der Kinder[1]und Jugendtheater und die setzt nicht nur auf Selbstkritik, sondern zunehmend auch auf Evaluation.

 Jüngstes Beispiel liefert das Theaterhaus in Frankfurt am Main, dessen Ensemble zusammen mit dem „Theatre du Chocolat“ in Yaounde produzierte. Nach den Aufführungen hier und dort fragte die künstlerische Leiterin Susanne Freiling ihre Kolleg_innen aus Kamerun nach deren Gedanken, um für die weitere Kooperation zu lernen:

„Für mich war überraschend, dass wir zwar von unterschiedlichen Seiten her aber doch ein sehr ähnliches Fazit gezogen haben: Neben positiven künstlerischen Entwicklungen war es vor allem das persönliche Wachstum durch die Arbeit, das wir alle als unglaublich bereichernd erlebt haben. Gedanken zu neuen Regie- und Spielformen wurden erprobt und damit die vermeintlichen Gewissheiten darüber, was „gutes Theater“ ist, auf das Schönste über den Haufen geworfen. Aber es wurden auch – von beiden Seiten – viele Schwierigkeiten in der Kommunikation beklagt: unklare (und vielleicht selbstherrliche) Entscheidungen über Geld, mangelnder Respekt gegenüber einer anderen Arbeits-, Rollen- und Hierarchiestruktur, unklare Erwartungshaltungen der Regie gegenüber und als allerwichtigster Punkt: zu wenig Zeit. Sich in zwei so unterschiedlichen kulturellen Kontexten zu akklimatisieren braucht viel Raum für das Kennenlernen, viel Sensibilität, Gelassenheit, Humor und wirkliches Interesse am anderen, um die Verschiedenheit produktiv zu machen. Und das braucht Zeit.“

 Ein Kameruner Kollege beschreibt das sehr genau: „Ich habe viel über Theater in Deutschland gelernt, die Unterschiede zwischen Kamerun und Deutschland, zwischen Schauspieler_innen, Theater und Zuschauer_innen. Unterschiedliche Energien sind notwendig, um so eine Art der Kollaboration zu ermöglichen. Der Druck war manchmal groß und ich hatte Angst, dass wir das Projekt nicht umsetzen können, aber am Ende war es auch für mich als Schauspieler sehr befriedigend. Wir – die Schauspieler_innen – haben viele Emotionen geteilt und sind zu einer Familie geworden, die uns – und das ist ganz zentral – künstlerisch bereichert. Ich habe gelernt, wie schwierig es ist, zwei verschiedene Kulturen, zwei verschiedene Gruppen und viele verschiedene Menschen dazu zu bringen, in die gleiche Richtung zu schauen, ihren gemeinsamen Traum umzusetzen.“

Der Prozess bedarf besonderer Förderung

Davon können auch die Förderer nur lernen. Deshalb machte es das Goethe-Institut Südafrika auch möglich, die beim Weltkongress der ASSITEJ in Kapstadt versammelten Koproduzenten aus Deutschland und zahlreichen afrikanischen Ländern zusammenzubringen, um in einer Plattform den diskursiven Erfahrungsaustausch zu pflegen. Das Goethe-Institut als Mittlerorganisation Auswärtiger Kulturpolitik ist seit Jahren dabei, die einbahnige Exportorientierung von Kunst aus Deutschland durch neue Strategien und Instrumente an den Wandel in den internationalen Beziehungen anzupassen.

Internationale Koproduktionen stehen beispielhaft für die partnerschaftliche und dialogische Zusammenarbeit. Das Goethe Institut will mit dem Internationalen Koproduktionsfonds die Entstehung neuer Netzwerke und Arbeitsformen in globalen Zusammenhängen unterstützen, um neue Wege der interkulturellen Zusammenarbeit zu erproben. Die Ermöglichung eines derartigen Austausches und die damit einhergehende Vernetzung unter den Akteuren sind dabei ebenso wichtig wie die entstehenden Produktionen.“ Der Fonds fördert Vorhaben, die sich einerseits über künstlerische Qualität definieren und andererseits eine öffentliche Wirkung haben sollen. Hybride und interdisziplinäre Formate sowie die Verwendung digitaler Medien finden dabei als tragende Komponenten besondere Beachtung. Die Arbeitsergebnisse sollen mindestens in einem Land in einem professionellen Umfeld präsentiert werden, das Goethe-Institut präferiert als Ideal, die Inszenierungen im Ausland und in Deutschland zu zeigen. Julia Hanske, in der Zentrale in München für den Fonds zuständig, konstatiert darüber hinaus, dass der Prozess des künstlerischen Koproduzierens in seiner Bedeutung gesehen werden müsse und auch einer besonderen Förderung bedürfe. Die Theaterreferentin äußerte sich anlässlich einer Veranstaltung im Rahmen des Theaterfestivals „Panoptikum“ in Nürnberg Anfang des Jahres.

Nach 25 ausgewählten Projekten in 2016/2017, bei denen deutsche Künstler_innen innovative Produktionen im internationalen Kulturaustausch mit Künstler_innen u.a. aus Ägypten, Marokko, Kenia, Simbabwe, China, Georgien, Ungarn, Kuba, Venezuela, Israel und dem Libanon zusammen entwickelten, konnten erste Erkenntnisse bei der Fortsetzung des Programms Eingang finden. Und auch Kinder- und Jugendtheater sollen zukünftig stärker berücksichtigt werden, sicher auch durch neue Expertise in der Jury. Das Goethe Institut war Gast einer Begegnung des Exekutiv-Komitees der internationalen und des Vorstandes der deutschen ASSITEJ.

Es brauche Zeit, Transparenz und Vertrauen

„Fair Cooperation“ war nämlich auch Gegenstand in der fränkischen Metropole. Zentrale Fragen seien „translation, inclusivity and participation“ betonte die Präsidentin Yvette Hardie zum Thema. Vizepräsident Francois Fogel aus Frankreich propagierte das Modell „Ping Pong“, das in seinem Land praktiziert werde, damit sich einzelne Akteur_innen mit Partnern aus dem Ausland für ein paar Wochen bei der Arbeit begegnen können. „Aber, das braucht Zeit!“ Und ein erster Kontakt könne nicht gleich zu einen gemeinsamen künstlerischen Projekt führen.

Auch Stefan Fischer-Fels vom Jungen Schauspiel aus Düsseldorf lud im Januar zu einem Werkstattgespräch ein. Er weiß durch sein internationales Engagement in Südamerika und Westafrika, dass es vor allen Transparenz braucht. Entscheidungen sollten gemeinsam getroffen werden, insbesondere der Umgang mit Fördermitteln. Zudem gelte es, genügend Vorlaufzeit einzuplanen; man müsse Land und Leute erst kennenlernen, bevor das künstlerische Arbeiten beginnen könne. Persönlich bereichernd seien in diesem Zusammenhang vor allem Lern- und Lebenserfahrungen, auch in der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Publika. Die ASSITEJ-Repräsentanten am runden Tisch in Nürnberg verständigten sich aber nicht nur über Umgangsformen, Machtverhältnisse und Rahmenbedingungen von Kooperationen, wichtig war allen Beteiligten immer auch der künstlerische Impuls, die Relevanz der Koproduktion im Hinblick auf das Neue, was im Theater entstehen könne.

Als Grundlage aller weiteren Gespräche und Initiativen im Zusammenhang mit „Fair Cooperation“ ist ein Arbeitspapier der ASSITEJ in Vorbereitung, das auf der Basis von Erfahrungen, aber auch der Diskurse von Hamm, Kapstadt, Düsseldorf und Nürnberg entsteht. Darin heißt es, dass der Begriff von Fairness neu zu verhandeln wäre, im Kontext von Equity und Equality. Zudem sei die Definition von Koproduktionen zu überdenken, insbesondere was das Verhältnis von Prozess und Produkt, aber auch der Ko-Autorenschaft betrifft. Rechts[1]fragen und Haftungsrisiken seien zu erörtern, im internationalen Austausch Visafragen für Theatergruppen endlich zu beantworten und Lösungen im diplomatischen Geschäft zu verankern.

Plädiert wird für langfristige Partnerschaften, bei denen Zeit, Vertrauen und Kommunikation eine wichtige Rolle spielen. „Fair Cooperation“ wäre auch im Sinne einer interkulturellen Öffnung in den Institutionen und von den Organisationen des Kinder- und Jugendtheaters zu pflegen. Konkret wird empfohlen, fünf Prozent des jeweiligen jährlichen Budgets dem Arbeitsfeld zuzuordnen, für Hospitationen, Recherchereisen, Einladungen an Partner aus dem Ausland, Reisen zu internationalen Festivals sowie Honorare für Gastkünstler_innen.

Die Kunst, mittels Koproduktion Diversität zu pflegen

Im Düsseldorfer Werkstattgespräch formulierten die Theatermacher_innen: „Wir sind davon überzeugt, dass grenzüberschreitende Kooperationen und die interkulturelle Öffnung unserer Institution uns in unserer Arbeit bereichern und dass unser Publikum davon profitiert. Unser Publikum vor Ort ist ganz selbstverständlich divers. Diesem Publikum sind wir diverse Geschichten, Identifikationsfiguren, Erzählperspektiven und künstlerische Entscheidungen ebenso schuldig wie die Offenheit unserer begleitenden Angebote, die niedrigschwellige Gestaltung unserer Theaterräume, Werbematerialien und Kartenpreise. Theater kann den Blick in die Welt öffnen und die Verschiedenheit der Perspektiven auf Geschichte, Lebenswelt und Zukunft sichtbar machen. Voraussetzungen dafür sind die Offenheit der Künstler_innen für den Austausch über Grenzen hinweg. Dies ermöglichen wir mit ‚Fair Cooperation‘ als Grundprinzip unseres künstlerischen Konzepts.“

Am Ende des Evaluationsbogens an die Partner der Koproduktion mit dem Theaterhaus in Frankfurt am Main wird gefragt: „Are you happy with the result of the cooperation?“ Die Antwort aus Kamerun lautete einhellig: „Yesssssssssss!“ Und doch werden auch Hinweise formuliert, wo die Baustellen einer „Fair Cooperation“ zu identifizieren sind: Es geht um mehr Wissen über strukturelle Beziehungen, um mehr gegenseitigen Respekt für „Cultural Diversity“ und um mehr Zeit, um es noch besser zu machen. Augenhöhe ist halt schnell theoretisch propagiert, braucht aber praktisch einen langen Atem.

 

Professor Dr. Wolfgang Schneider ist Direktor des Instituts für Kulturpolitik der Stiftung der Universität Hildesheim, dortselbst UNESCO-Chairholder in Cultural Policy for the Arts in Development und ehrenamtlicher Vorsitzender der ASSITEJ Deutschland sowie Herausgeber von IXYPSILONZETT, sowohl vom Jahrbuch als auch vom Magazin für Kinder und Jugendtheater. Literatur Annika Hampel: Fair Cooperation. Partnerschaftliche Zusammenarbeit in der Auswärtigen Kulturpolitik. Reihe Auswärtige Kulturpolitik. Wiesbaden 2015 Annika Hampel: Fair Cooperation. A New Paradigm for Cultural Diplomacy and Arts Management. Cultural Management and Cultural Policy Education. Bruxelles 2017

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