Die Carp’sche Trinität
von Thomas Hürlimann
Erschienen in: Arbeitsbuch: Peter Carp – Weltempfänger in Luzern, Oberhausen und in Freiburg (04/2025)

Nach einer durchzechten Nacht verließ Peter Carp am frühen Morgen ein düsteres Lokal an der Berliner Kantstraße. Als er vor die Tür trat, stieß er auf eine vorüberziehende Schulklasse, und da er befürchten musste, von der frisch den Betten entschlüpften Jugend scheel beäugt zu werden, drückte er sich verschämt an den Hausfassaden entlang in die entgegengesetzte Richtung. Plötzlich bemerkte er: Es gab noch einen zweiten Carp. Der strebte auf der andern Seite der Klasse in dieselbe Richtung wie Carp Eins. Beide Carps waren identisch, doch wurden sie durch die lachend und plaudernd weiterziehenden Schüler getrennt. Und war da nicht noch ein dritter Carp, eine Art Über-Carp, der die Situation von oben erfasste? Die Klasse peilte den Savignyplatz an, und die beiden Carps, die sich vollkommen glichen und sich vollkommen synchron bewegten, schlurften links und rechts an der Schüler-Reihe entlang Richtung Bahnhof Zoo.
Peter Carp hat mir dieses Erlebnis vor einigen Jahren in einer Berliner Kneipe erzählt. Es fächert das Doppelgänger-Motiv zur Dreiheit auf und beweist, dass Carp, wie jeder große Künstler, seine Phantasien am eigenen Leib erfährt – deshalb vermag er sie glaubwürdig zu gestalten. Carp ist eine der seltenen Doppelbegabungen: Theatermacher und Arzt, Intendant und Regisseur – und zugleich...