Ein Lehrstück fürs Leben
Erschienen in: 70 Jahre Zukunft – Theater der Jungen Welt Leipzig (03/2017)
Der Herr, der schickt den Jockel aus:
Er soll den Hafer schneiden,
Der Jockel schneidt den Hafer nicht
Und kommt auch nicht nach Haus.
Als Dramaturgin am Theater der Jungen Welt war ich auf der Suche nach neuen Stücken für Kinder und stieß Anfang der 60er Jahre auf eine Notiz, dass der bekannte Schriftsteller Arnold Zweig nach einem jüdischen Volkslied, das auch Theodor Fontane als Ballade verarbeitete, in der Emigration in Haifa ein Lehrstück verfasst hatte. Und tatsächlich erhielten wir vom Autor das Recht zur Uraufführung.
In den alten Fassungen schickt der Herr nacheinander alle möglichen Tiere, Leute und den Henker und den Teufel aus, um Jockel zur Räson zu bringen. In Arnold Zweigs Lehrstück mobilisiert der Herr den gesamten ihm dienenden Staats- und Machtapparat, um Jockels Widerstand zu brechen. Diese Figuren stellten wir in ihren Uniformen und Roben auf hohe Kothurne und statteten sie mit ihren jeweiligen Insignien der Macht als überdimensionale Requisiten aus.
Da Arnold Zweig bei der Premiere anwesend war, sah sich auch der Generalintendant der Städtischen Bühnen Karl Kayser genötigt, in den Weißen Saal, den damaligen Spielort des Theaters der Jungen Welt, zu kommen, was höchst selten geschah. Nur die Texte musste ich ihm vorlegen, um...