Magazin
Geschichte vom Herrn H.: Adornos Flaschenpost
von Jakob Hayner
Erschienen in: Theater der Zeit: Miser Felix Austria – Martin Kušej über seinen Start am Burgtheater (09/2019)
Der Philosoph Theodor W. Adorno hat seine Theorie einmal als eine Flaschenpost bezeichnet. Unbeirrt von der Frage, zu wem er eigentlich spräche, hielt er daran fest, dass ein Gedanke zuallererst seinem Objekt verpflichtet sei – und erst in zweiter Linie einem imaginären oder realen Publikum. Für „unbekannte Finder in einer unbestimmten Zukunft“ waren seine Überlegungen gedacht, sah Adorno doch seinerzeit kaum Adressaten seiner radikalen Gesellschaftskritik. Die alte Linke war zerstört und geschlagen, die KPD verboten, die Nachkriegs-SPD sah er durch den Reformismus des Godesberger Programms zum Untergang verdammt, und die neue Linke, die zuerst in Gestalt der Studentenbewegung auftrat, war ihm mit ihrer Fixierung auf Symbolpolitik verdächtig. „Pseudoaktivität“ nannte er deren radikalen Gestus, der auf wahrhaft eingreifende Praxis verzichtete, aber auf der Oberfläche einen Strudel von Zeichen des radical chic erzeugte. Bei Suhrkamp wurde nun der von Adorno 1967 an der Wiener Universität gehaltene Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ herausgegeben. Adorno fragte nach den Bedingungen des damaligen Erfolgs der NPD. Und präsentierte eine radikale und kritische Analyse der Gesellschaft.
Vor fünfzig Jahren, am 6. August 1969, ist Adorno gestorben. Wenige Tage später erschien in der ZEIT sein letzter Text „Marginalien zu Theorie und Praxis“, in dem er seine Thesen über...