Das Problem der Öffentlichkeit
von Georg Lukács
Erschienen in: Georg Lukács – Texte zum Theater (06/2021)
Es scheint, dass wir wieder bei einem formalen, bei einem kompositionellen Problem angelangt sind, aber die wirkliche Form ist auch hier nur eine künstlerisch verallgemeinerte Widerspiegelung von gesetzmäßig wiederkehrenden Lebenstatsachen. Inhaltlich gesehen bedeutet die von uns bis jetzt herausgearbeitete Differenz: die Öffentlichkeit im Drama. Ihrem historischen Ursprung nach ist freilich auch die Epik eine öffentliche Kunst gewesen. Dies ist sicher einer der Gründe, weshalb der formale Abstand zwischen antikem Epos und Drama geringer war als der zwischen Roman und Drama (trotz der größeren gegenseitigen Wirkung aufeinander). Aber diese Öffentlichkeit des altgriechischen Epos ist nicht mehr als die des ganzen Lebens in einer primitiven Gesellschaft. Und diese Öffentlichkeit musste notwendigerweise mit der Höherentwicklung der Gesellschaft verschwinden. Wenn wir an der Bestimmung des Epos als »Totalität der Objekte« festhalten – und gerade die Homerischen Epen bilden die Grundlage und die beste praktische Bestätigung der Richtigkeit dieser Bestimmung –, so ist es klar, dass eine solche Welt in ihrem vollen Umfange nur auf einer sehr primitiven Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung ihre Öffentlichkeit beibehalten kann. Man denke an die historischen Ausführungen von Engels über den öffentlichen Charakter z. B. des Haushalts in einer primitiven Gesellschaft und an die notwendige Privatisierung aller mit der Lebenserhaltung...