Nicolas Stemann weiß, was er seinem Publikum schuldig ist. Eine Neuinszenierung von Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ zum 100.Geburtstagsjahr des Dramatikers im Züricher Pfauen, 65 Jahre nach der Uraufführung des Stücks ebendort, gehört zum Pflichtprogramm. Dumm nur, dass die zum Klassiker avancierte Tragikomödie – abgesehen vom aufführungsgeschichtlichen Lokalbezug – auf den ersten Blick so gar nicht zu Zürich passen will. Handlungsort ist das bankrotte Städtchen Güllen, ein im wahrsten Sinne des Wortes abgehängtes Kaff, an dem die Fernzüge ohne Halt vorbeidonnern. Was, bitteschön, haben die in prekären Verhältnissen lebenden Güllener mit dem erkennbar nicht am Hungertuch nagenden Theaterpublikum in Zürich gemein, das im aktuellen Ranking der teuersten Städte der Welt auf Platz eins steht?
Nun, die Parallelen mögen nicht sofort offensichtlich sein, Stemann aber findet sie. Bereits die vage Aussicht auf die Rückkehr zu Wohlstand verleitet die Menschen in Güllen dazu, Geld auszugeben, das sie nicht haben. In diesem hemmungslosen Leben über die Verhältnisse erkennt Stemann das wieder, was im großen Stil in dieser Welt geschieht. Denn was wäre der ökologische Raubbau am Planeten, von dem vor allem der wohlhabendere Teil der Erdbevölkerung profitiert, anderes als ein kollektives Leben auf Pump? In Stemanns Inszenierung flimmern denn auch Videobilder...