Musik
Der musikalische Interpret
von Paul Höffer
Erschienen in: Theater der Zeit: Objektive Kritik? (09/1946)
Zwischen Schaffenden und Hörern steht in der Musik wie in der dramatischen Kunst der Interpret. Die Noten, die auf dem Schreibtisch liegen, bedeuten für den Musiker eine äußerst komplizierte Niederschrift musikalischer Gedanken; für den Hörer, den Empfänger, bedeuten sie nichts. Sie bekommen ihre Wirklichkeit, ihr Wesen und ihre Gestalt erst in dem Augenblick, in dem der ausübende Musiker sie aufnimmt und zum Klang werden lässt. Er liest Noten wie Worte und Sätze; er spricht sie aus, indem er sie spielt. Das stumme, rätselhafte Bild verwandelt sich in ein beredtes Wesen. Vor den Ohren des Hörers entfaltet sich seine sinnliche Gestalt; wie im Film rollt sich ein Geschehen ab, so nahe manchmal, dass er es greifen zu können glaubt. Aber es lässt sich nicht fangen und nicht betasten; denn es ist unkörperlich. Ein Wunder menschlichen Geistes erleben wir bei jeder Wiedergabe von Musik, Auftauchen und Verschwinden einer unfassbaren Materie.
Ein komplizierter, mehrstufiger Vorgang spielt sich zwischen dem Augenblick der Konzeption des Komponisten und dem Empfang des Hörers ab. Obwohl das Musikschaffen selbst bei allen Komponisten sehr unterschiedlich vor sich geht, so liegen doch einzelne Abschnitte dieses Weges schon rein technisch fest; viele Stationen liegen zwischen dem ersten Einfall und der fertigen...