Magazin
kirschs kontexte
Schwierigkeiten mit dem Harlekin
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Andrzej Stasiuk: Autor der Vergessenen – Der Erste Weltkrieg und das Rumoren der Geschichte (01/2014)
Wenn es darum geht, den Abläufen des betriebsförmigen Theaters etwas entgegenzusetzen, wird gerne das Wunschbild des Harlekins mobilisiert, jener Figur der Commedia dell’Arte also, die speziell durch den Frühaufklärer Johann Christoph Gottsched aus dem Theater verbannt wurde. In der Tat ist Gottscheds Exorzismus einer der großen Sündenfälle der europäischen Bühnengeschichte: Dem Theater wurde hier das Theater selbst ausgetrieben, ist der Harlekin doch eine sich beständig wandelnde, „antiidentitäre“ Figur, die in keinen sozialen Zusammenhang integrierbar ist und jedwede Ordnung durchschlägt, sei diese auch noch so „vernünftig“ oder „sittlich“ eingerichtet. Niemals hat sich das institutionalisierte Theater von dieser „Erbsünde“ erholt – die schon mit Lessing einsetzenden Versuche, das Harlekineske im Rahmen stehender Bühnen wiederzubeleben, haben sich jedenfalls bei genauem Hinsehen regelmäßig als je neue Beerdigungen erwiesen.
Nun ist es leicht, sich von heute aus über die Harlekinphobie des 18. Jahrhunderts und speziell über Gottscheds „verzopften“ Schulmeisterton lustig zu machen. Doch allzu rasch wird damit auch die Frage übergangen, warum der Harlekin für das aufklärerische Denken so unerträglich sein musste – und wo er es auch für uns nach wie vor sein könnte. Das „Furchtzentrum“ des Harlekins erkennt man also erst, wenn man darüber nachdenkt, wo sich seine Spuren aktuell finden lassen. Und...