Es ist natürlich verführerisch, diesen Abend als Corona-Stück der Stunde zu begreifen. Schließlich spielt das Ganze in einer Apotheke, und die dient spätestens heutzutage als Marktplatzersatz.
Die Wahrheit ist: Das Stück wurde vor der Corona-Krise erdacht. Der sogenannte Lockdown hat die Premiere im März vereitelt und führt jetzt dazu, dass man den Abend als Parabel auf unsere infektiöse Gegenwart liest. Dabei beginnt es wie eines der Kunstwerke Dieter Roths. Der Schweizer Künstler ließ Schokolade vergammeln und Gewürze verschimmeln – zu sehen in den bekanntesten Museen der Welt und längst nicht so ekelerregend wie der konkrete Nagelpilz, mit dem Christoph Marthaler seinen Dieter-Roth-Abend eröffnet.
Auf einem Video ist in Nahaufnahme zu sehen, wie ein solcher Nagel sich auswächst und behandelt wird. Zum Glück betritt bald die erste Apothekerin die Bühne, und das Video verschwindet. Insgesamt fünf Frauen, alle in weißen Kitteln und mit geschäftsmäßigen Blicken, fuhrwerken in dieser Apotheke herum. Duri Bischoff hat ihnen raumhohe Regale aufgestellt, in denen Medikamentenschachteln lagern wie Büchsensuppen. Auf einem steht „Magen“, auf einem anderen „Drüse“, ein drittes verspricht schlicht „Fit“. Und während wir zu gern wüssten, welche Medikamente das bewerkstelligen, formen die Frauen ihre Lippen zu Mozarts „Lacrimosa“ aus seinem Requiem.
Eine Totenmesse ist auch...