5. Die Faltung im Sichtbaren II: Zum Spiegel
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Der zweite Pol der Falte, der Spiegel, ist mit der Anamorphose eng verschwistert. Das zeigt sich schon daran, dass die beiden Phänomene zusammen die bedeutendsten Instrumente der »optischen Magie« des 17. Jahrhunderts darstellen und sogar arbeitsteilig auftreten können – etwa in Gestalt der in dieser Zeit besonders beliebten »katoptrischen Anamorphose«, einer Bildverzerrung, die nur mit Hilfe eines entsprechenden Zylinderspiegels zu entschlüsseln ist. Auch Shakespeares Hamlet-Figur lässt sich als Konglomerat aus Anamorphose und Spiegel beschreiben, als Figur eines endlos »reflektierenden« Melancholikers nämlich. Anamorphose und Spiegel sind also selbst ineinander gefaltet, bilden sich in Eigenschaften und Funktionen aufeinander ab und wirken zusammen, verhalten sich gleichzeitig aber auch als absolute Widerparte. So ist die Anamorphose zwar geometral hergestellt, ebnet aber gerade in ihrem Status als spielerische Praxis den Weg in den Bereich des Visuellen. Umgekehrt ist der Spiegel genuin mit dem Phänomen des unkalkulierbaren Lichtrieselns und daher mit dem visuellen Modus verbunden, und doch lässt sich seine Bildfunktion auch im Bereich des Geometralen anwenden und, wie Lacan betont, vollständig errechnen. In dieser Hinsicht ist der Spiegel sogar absolut konstituierend für das Subjekt im Geometralen – er spielt dann nämlich exakt die Rolle, die er in Lacans Vortrag über das »Spiegelstadium als Bildner der...