3.1. Die Falten der Haut
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Zunächst, um die Problematik deutlicher zu machen, noch einmal zu Rabelais bzw. zu dessen Lektüre durch Bachtin. Bachtins prominente, »Gargantua und Pantagruel« abgewonnene These lautet, dass vom Mittelalter bis zum Barock in der »Volkskultur« eine Vorstellung vom menschlichen Körper dominiert habe, die speziell im Karneval zu ihrem Recht gekommen sei. In dieser Vorstellung war der Körper nicht klar von seiner Umgebung getrennt, ohne geschlossene Kontur und verwoben mit der dinghaften Welt – eben ein »grotesker« oder, wie Bachtin in einer deleuzianisch anmutenden Formulierung schreibt, ein »werdender« Körper.19 Niemals abgeschlossen, steht dieser groteske Körper im beständigen Austausch mit anderen Körpern und erzeugt dabei stets weitere Körper. Dieser permanente Austausch, der sich im harmonischen Rahmen einer sympathetischen Ordnung, einer Ordnung der Ströme und (Körper-)säfte vollzieht, erlaubt jene Zerstückelung des Leibes in einzelne, jeweils herausgehobene Glieder, die sich an Rabelais’ Texten so deutlich studieren lässt. »Jene seiner Teile«, schreibt Bachtin, »in denen er über sich selbst, über die eigenen Grenzen hinauswächst und einen neuen, zweiten Körper produziert, (spielen) eine besondere Rolle: der Bauch und der Phallus.« (RW 358) Nach diesen beiden seien vor allem der Mund, »der die Welt verschluckt« (RW 358) und der Hintern von herausragender Bedeutung. Die Nase hingegen gilt als...