Geschichten der Migration zwischen den Welten
Dritter Akt: Darstellende Kunst mit Geflüchteten
Erschienen in: Poesie, Heimat und Politik – Theater Willy Praml (05/2024)
Gingo biloba
Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie’ s den Wissenden erbaut.
Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als eines kennt?
Solche Fragen zu erwidern,
Fand ich wohl den rechten Sinn:
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Daß ich eins und doppelt bin?
(Johann Wolfgang Goethe, 1819)
Ein junger Mann liegt auf dem Boden vor einem Flügel, daran sitzt ein anderer Mann und spielt eine getragene Melodie. Es ist das letzte von vier Liedern aus Gustav Mahlers Zyklus „Lieder eines fahrenden Gesellen“, es handelt von vergeblicher Liebe, von Erinnerungen an Heimat, Kindheit und Jugend. Der junge Mann singt es mit leiser, nicht ausgebildeter Stimme, doch obwohl sicher nicht alle Töne sauber getroffen werden, ist die Wirkung kaum weniger intensiv als bei einem ausgebildeten Tenor. Dies hat gewiss auch mit dem Hintergrund zu tun, denn dort sieht man traumschöne Bilder aus der Heimat dieses jungen Mannes. Er ist Syrer und die Fotos zeigen ein traumschönes, unzerstörtes Damaskus, das er aller Wahrscheinlichkeit nach in seinem Leben nicht mehr betreten wird.
In seiner Regiearbeit zurückGEHEN ODER hierBLEIBEN. HEIMAT?, uraufgeführt...