Die Nachricht erreicht mich während der Leipziger Buchmesse im März 2019: Ich soll nach Santa Cruz de la Sierra fliegen, um über „Palmasola“, die neue Theaterproduktion des Schweizer Regisseurs Christoph Frick und seines europäisch-bolivianischen Teams, zu berichten. Einen Monat später sitze ich am Tag der Generalprobe auf Einladung des Leiters des örtlichen Goethe-Instituts Franz Josef Kunz, der das Projekt gefördert hat, in einem zentral gelegenen Restaurant beim Mittagessen.
Der Blick auf Santa Cruz frischt die Erinnerung an dessen ehemals provinzielle Konturen auf, die nunmehr einer sich in Ringen ausbreitenden Metropole gewichen sind. Aus ihrem zehnten Ring ragt Palmasola, die berühmt-berüchtigte Gefangenenstadt, heraus – eine Miniatur der gesamten Stadt oder, wie die Schauspieler sagen, vielleicht sogar ganz Boliviens. Zu dieser Miniatur gesellt sich nun die nächste: Fricks dokumentarisch und ästhetisch außerordentlich anspruchsvolle Inszenierung „Palmasola“.
Schon bei der Generalprobe wie auch bei der Premiere am nächsten Abend entfaltet die Produktion, die am 27. und 28. April im Centro de Cultura Plurinacional im Rahmen des 12. Internationalen Theaterfestivals 2019 von Santa Cruz de la Sierra gezeigt wird, ihre beunruhigende Wirkung: Das Stück durchläuft experimentell die Gewaltexzesse in dieser einzigartigen Haftanstalt. Palmasola ist Regel und Ausnahme zugleich; ein Mysterium, das jeder Insasse, will er...