Kritisches Programm für die Provinzpresse
von Rolf H. Baucken
Erschienen in: Theater der Zeit: Theaterwissenschaft – Wissenschaft vom Leben (01/1948)
Assoziationen: Kritiken
Die Kritik der Kritik wächst. Sie steigert sich oft zu offenem Unwillen. Gehässigkeit und Unverständnis ist der Vorwurf auf beiden Seiten. Das ist das allgemeine Bild. Kritiker preschen – nach 12 Jahren Unterdrückung – temperamentvoll über das Ziel hinaus. Schauspieler und Theaterleiter sind verwöhnt von einer Zeit, als ein Ministererlaß sie schützte. Es gibt Hausverbote, Beleidigungsklagen, Ohrfeigen – in Berlin und in der Provinz.
Der Hinweis auf die Demokratie ist keine Entschuldigung für diesen Zustand. Denn die Freiheit der Demokratie ist nicht Freiheit zur systematischen Selbstvergiftung der Atmosphäre.
Berechtigung und Notwendigkeit der Kritik ist bei allen Einsichtigen und Aufbauwilligen unbestritten. Das gilt für die Künstler ebenso wie für die Öffentlichkeit. Erforderlich ist nur die Einigung über Funktion und Ziel der Kritik.
*
Hier soll ein Vorschlag gemacht werden, der die Situation klären kann:
Jeder Kritiker sollte öffentlich Ziel und Absicht seiner kritischen Bemühung festlegen.
Mit diesem Programm der Kritik unterwirft der Kritiker sich freiwillig einer selbst gesetzten allgemeinen Richtschnur. Diesen „Plan der Kritik“ werden auch Theaterleitung und Schauspieler anerkennen, wenn er Begründetes und Sinnvolles fordert. (An vielen Orten wird es möglich sein, daß Kritiker, Theaterleiter und Schauspieler gemeinsam dies Programm entwerfen.)
Damit ist grundsätzlich eine Leitlinie gelegt, die gestattet, bei...