3. Der Schleier der Sprache
von Wolfgang Engler
Erschienen in: Authentizität! – Von Exzentrikern, Dealern und Spielverderbern (03/2017)
Wie erlangt man Diskurshoheit? Machtworte wie „indiskutabel“ allein verleihen den Worten keine Macht, Neuschöpfungen fallen zu Boden, wenn sie nicht zahlreich aufgegriffen, von Mund zu Mund weitergegeben werden. Um ihr Amt auszuüben, müssen sich die Wächter des Diskurses auf einen Konsens stützen können, der schlechterdings entwaffnend ist. Und den gibt es. Das Stich- und Zauberwort in diesem Zusammenhang lautet „Emanzipation“. Wer, darauf sich berufend, Ungerechtigkeiten anprangert, erwirbt automatisch die Macht, zu reden und angehört zu werden. Der so in Gang gesetzte Prozess ist unabschließbar. Wenn die Proletarier gesprochen haben, ergreifen die Frauen das Wort, um ihre Klage vorzutragen, dann kommt die Reihe an die Behinderten, begleitet, gefolgt von Homosexuellen, Vegetariern, Veganern, Frutariern16, Fahrradfahrern, Nichtrauchern, Tierschützern, und die Liste der Wortmeldungen ist lang. Sind die krassen Ungerechtigkeiten halbwegs überwunden, richtet sich der Eifer auf die feinen, filigranen. Am Ende sind sich alle darin gleich, dass sie einander ungleich sind, aparte, ihr Anderssein zelebrierende Existenzen, die voneinander unbehelligt ihren Privatfisch schwimmen lassen wollen – und höchstens daran Anstoß nehmen, dass da anderswo noch andere Fische schwimmen. Sei immer du selbst, gleiche dir auf unvergleichbare, singuläre Art und Weise – dann und nur dann bist du wahrhaft authentisch. Authentizität und Singularität...