Theater der Zeit

Authentizität!

Von Exzentrikern, Dealern und Spielverderbern

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Assoziationen: Wolfgang Engler

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Das Problem

von Wolfgang Engler

Authentizität, das gibt es nicht. Das lernt man in der Schauspielschule. Devid Striesow (Berliner Morgenpost, 2016) Vor geraumer Zeit blätterte ich während eines Aufenthalts in einem Quartier der Hotelkette Motel One in einem Werbekatalog des Hauses und stieß alsbald auf eine Doppelseite. Dort versammelten sich neun Angestellte des Unternehmens auf einem Gruppenfoto. Durchgehend in ihren Zwanzigern, präsentierten sie sich dem Betrachter offenen Gesichts, dezent lächelnd, in charakteristischer Dienstkleidung: türkises Hemd unter braunem Anzug die beiden Männer und in türkise Bluse zuzüglich Halstuch und braunes Kostüm gefasst die Frauen. Die Anordnung der Gruppe vermittelte den Eindruck wechselseitiger Vertrautheit; drei Mitarbeiterinnen hatten, wie gute Freundinnen das tun, ihren Arm über die Schultern der anderen gelegt. Tatsächlich arbeiteten die neun in Niederlassungen quer …

Wie Menschen „wirklich“ sind

1. Wir Ex-Zentriker

von Wolfgang Engler

Wir dürfen, so viel steht fest, mehr „Mensch“, mehr „wir selbst“ sein als unter den alten Bedingungen. Damit ist zugleich die Sphäre verschwunden, in der wir, entlassen aus der Fabrik- …

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2. Entgrenzungen

Menschen drängen zur Fixierung hin und von ihr fort, sie exponieren ihr Selbst und verhüllen es, verleihen ihrem Innersten Ausdruck oder wahren das Caché und finden im Wechsel dieser Haltungen …

von Wolfgang Engler

3. Das Eigene und das Fremde

Gleichgültig, welchem sozialen Feld wir uns zuwenden, beobachten wir Grenzüberschreitungen, die den Menschen als solchen betreffen, sein Menschsein. Um deren Richtung und Ausmaß genauer zu bestimmen, muss man die menschliche …

von Wolfgang Engler

4. Verstelltes Dasein, richtiggestellt

von Wolfgang Engler

Die Verwandlung sozialer Zwänge in Selbstzwänge des Verhaltens bedeutet an sich keine Vergewaltigung der menschlichen Natur. Menschen wollen aus sich heraus, mit ihresgleichen wirken, ringen, fechten und setzen sich dergestalt …

Die Dramen der Handlung

1. Heldendämmerung

Es ist kein Handeln […], wenn ein Bureaukrat ein Aktenbündel nach vorgegebenen Vorschriften erledigt. Es liegt auch kein Handeln vor, wenn ein Richter einen Fall unter einen Paragraphen subsumiert, wenn …

von Wolfgang Engler

2. Sonderlinge, Informanten

„Nichts“, schrieb David Hume vor mehr als 250 Jahren in seinem Essay Of the First Principles of Government, „erstaunt jene, die sich mit den menschlichen Angelegenheiten gründlich beschäftigen, in höherem …

von Wolfgang Engler

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4. Fahrer und Beifahrer

Hervorbringen (Arbeiten), Handeln, Tätigsein – so bestimmte Aristoteles die Grundformen menschlicher Praxis, die sich per Abgrenzung zu den jeweils anderen definieren. Im Unterschied zum Hervorbringen, dessen Zweck außerhalb seiner selbst …

von Wolfgang Engler

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6. Wiederkehr der Helden

Am 21. Januar 1945, einem Sonntag, sitzen Albert und Louisa Steenstra voll schlimmer Vorahnungen in ihrem Wohnhaus in Groningen.37 Seit Längerem gewähren sie in ihrer Mansarde Juden Unterschlupf, die den …

von Wolfgang Engler

7. Das Handeln darstellen

Worin besteht der Sinn einer Handlung? In dem, was der Handelnde damit bezweckt, das ist der eine, offenkundige Teil der Antwort. Den zweiten fördert ein Blick auf die Verwirklichung des …

von Wolfgang Engler

Machen Kleider Leute?

1. Madame Bovary im Büro

Die Robe ist eine versteckende Uniform und zeigt zugleich die Individualität der Persönlichkeit. Man muss sie tragen, muss sie füllen können. Sie lässt mich auch, weil sie schwer ist, aufrechter …

von Wolfgang Engler

2. In Funktion: Stolz, Scham und ein Deal

Die Sekretärin und der Konditor teilen dieselben Zeitumstände, dennoch liegen Welten zwischen ihnen. Das unterschiedliche Alter erklärt den Abstand nur zum kleineren Teil. Es den Älteren einfach nachzutun, widerstrebt den …

von Wolfgang Engler

3. Vor und hinter dem Vorhang

Die Spielart Toni gewann seit den 1980er Jahren auf allen sozialen Feldern kontinuierlich an Mitspielern und Einfluss. Andere Spielarten, deren relatives Gewicht schwer zu bestimmen ist, behaupteten sich jedoch oder …

von Wolfgang Engler

4. Die Kunst der Angestellten

Herlinde Koelbls Studie lebt vom Kontrast. Sie zeigt Menschen im Amt und als Privatpersonen, und fragt nach der Bedeutung, die sie damit verbinden. Die Antworten fallen unterschiedlich aus: Einige erleben …

von Wolfgang Engler

Die Wohlmeinenden

1. Die Grenzen des Diskurses

Es ist nun einmal kein Privileg mehr, sich öffentlich zu äußern. Jeder kann im Netz die Klappe aufreißen, auch die weniger gut Gescheitelten. Cora Stephan (Neue Zürcher Zeitung, 2016) 1. …

von Wolfgang Engler

2. Zweierlei Repräsentationskritik

Was sich auf verschiedenen sozialen Feldern beobachten lässt, ist ein Prozess der Entdifferenzierung. Einen Soziologen wie Niklas Luhmann hätte diese Entwicklung bestürzt. Seine Theorie der Moderne geht von eigenständigen Sinnzusammenhängen …

von Wolfgang Engler

3. Der Schleier der Sprache

Wie erlangt man Diskurshoheit? Machtworte wie „indiskutabel“ allein verleihen den Worten keine Macht, Neuschöpfungen fallen zu Boden, wenn sie nicht zahlreich aufgegriffen, von Mund zu Mund weitergegeben werden. Um ihr …

von Wolfgang Engler

Authentizität im Wandel

1. Die Prüfung der Besten

Entscheidend ist nicht, was Authentizität wirklich ist, sondern wer den Begriff in welchem strategischen Sinn verwendete. Sven Reichhardt, Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren …

von Wolfgang Engler

2. Bürgerpflichten, Bürgersinn

Andere Verhältnisse, andere Ansichten, andere Üblichkeiten. „Es ist Sache des Staates, den Mängeln der Gesellschaft abzuhelfen“, schrieb Bernard Mandeville schon im frühen 18. Jahrhundert9 und sprach die Einzelnen von übertriebenen …

von Wolfgang Engler

3. Die Stunde der Exzentriker

Der hartherzige Geist des neuen Weltwollens wurde veredelt, bekränzt, blitzte jedoch immer wieder herrschsüchtig hervor, und das trieb Nonkonformisten in die ästhetische Häresie. Ihr Feindbild schlechthin war die Figur des …

von Wolfgang Engler

4. Die Option für das ‚Natürliche‘

Authentizität ist auch ein Kampfbegriff. Im Namen der Authentizität verwirft man kulturelle Modelle, bestreitet deren Legitimität, entmachtet sie und setzt neue in Umlauf. Dabei wechseln formalistische und naturalistische Konzeptionen des …

von Wolfgang Engler

5. Authentizität und Kollektivität

‚Man selber‘ sein, ‚man selber‘ werden, Selbsterforschung, Selbstformung, ohne die gesellschaftlichen Verhältnisse anzutasten, das war die Position des moralischen wie des ästhetischen Individualismus. Die Menschheitskatastrophen des 20. Jahrhunderts erschütterten diesen …

von Wolfgang Engler

6. Die „volkseigene Erfahrung“

Man kann umso unangestrengter ‚man selber‘ sein, je mehr man seiner Sache, seines Lebens sicher ist. Das war lange ein Oberschichtenprivileg, an Reichtum, vornehme Geburt gebunden. Die weitaus meisten lebten …

von Wolfgang Engler

7. Lesen, Streiten, Lachen

Wer man selber ist, darüber bestimmen auch die anderen. An einem Selbstbild festzuhalten, das alle Welt zurückweist, gelingt nur wenigen; sie sind die wahrhaft Unbestechlichen. Was diesen Heldenmut in der …

von Wolfgang Engler

8. Shared Personality

Man selbst sein, indem man sich selbst regiert – geht es heute nicht genau darum: um die Verwirklichung des originären Sinns von Authentizität durch alle, überall, in allen Kontexten? Sind …

von Wolfgang Engler

Über den Autor

Wolfgang Engler wurde 1952 in Dresden geboren. Von 1973 bis 1978 studierte er Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach einem Forschungsstudium promovierte er 1980 und arbeitete das folgende Jahr …