Underdog in Anklam
Eine Zeitreise
Erschienen in: Arbeitsbuch 2016: Castorf (07/2016)
1981 erfuhren wir in der Dramaturgie, dass ein neuer Oberspielleiter nach Anklam kommen würde – Frank Castorf. Wir hatten von diesem Namen schon vage gehört; nirgends funktioniert die Gerüchteküche besser als im Theater: Castorf sollte irgendwie irgendwo rausgeflogen sein, ein Intellektueller aus Berlin, der jetzt hier das Heft in die Hand nehmen sollte. Aktuell lief gerade die Premiere von Helmut Beetz’ „Warmer Regen“ und Castorf schaute sich die Sache an. Ich erinnere mich an einen schmächtigen Menschen mit schmalem Gesicht und schmalen Lippen. Ein Berliner Eierkopf, dachten wir damals: Nickelbrille, ein ungeheuer wacher Blick – er lächelte kaum.
Der Intendant Wolfgang Bonness führte ihn durchs Theater und so landete Castorf auch im unaufgeräumten Dramaturgiekabuff. Er musterte uns und das Zimmer, setzte sich – und fing an zu reden.
Ich weiß nicht mehr, was er sagte. Wahrscheinlich stellte er sich vor und fragte nach unseren Erfahrungen hier in Anklam. Was sollte man da sagen, als Dramaturg in einem C-Theater, weit weg von den künstlerischen Zentren? Wir erfuhren, dass die neue Spielzeit künstlerisch von einer Art Doppelspitze geleitet werden sollte, denn im Schlepptau von Castorf befand sich sein Studienfreund Manfred Raffelt, mit dem er schon in Brandenburg zusammengearbeitet hatte. Wir hatten zunächst...