2.1. Der Brotladen
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Dass es keinen Anderen des Anderen gibt, bedeutet auch, dass es im Fall eines wie auch immer gearteten Verlustes letztlich keine Instanz gibt, bei der man sich sinnvoll beschweren oder irgendein Recht einklagen könnte – eine Erfahrung, die beispielsweise das »Lesebuch für Städtebewohner« in die unerbittlichen Worte fasst: »Was eure Mutter euch sagte / Das war unverbindlich«, und: »Lasst euren Kontrakt in der Tasche / Er wird hier nicht eingehalten.«37 Das heißt aber nicht, dass es niemanden gibt, der Hilfe gewährleisten könnte. Nur wird dieser Logik gemäß die Hilfe immer wieder nichts anderes sein als eine Hilfeverweigerung: Ein Anderer, der hilft, indem er drauf beharrt, dass es keinen helfenden Anderen gibt, so wie es etwa in der berühmten Keuner-Geschichte über den »hilflosen Knaben« geschieht.38 Anders formuliert besteht die Hilfe des Anderen darin, in barocker Manier den Bittsteller schockartig in die Immanenz zurückzustoßen, wobei der Schock umso nachhaltiger ausfallen dürfte, je glanz- und machtvoller der Andere zuvor erschienen war.
Wenn nun offene Hilfeverweigerung in Wirklichkeit Hilfe ist, dann stellt sich umgekehrt die Frage, ob nicht in jeder direkten Hilfe eine stillschweigende Hilfeverweigerung steckt. »Die Dinge der Wohltätigkeit gehen heute nicht mehr!«, heißt es immerhin einmal im »Brotladen«.39 Brecht spielt dieses Problem...