Ogni pensiere vola
Leerstellen in Syn- und Kinästhese | Eine Erscheinung | ,Rohe‘ Sinne? | ,Falschnehmung‘
von Lorenz Aggermann
Erschienen in: Recherchen 102: Der offene Mund – Über ein zentrales Phänomen des Pathischen (03/2013)
Leerstellen in Syn- und Kinästhese
Wie mit den bisherigen Ausführungen dargelegt wurde, verspricht die semiotische und begriffliche Lektüre des offenen Mundes wenig Erkenntnisgewinn. In der Tat kann es in Anbetracht seiner Weitung nicht darum gehen, die „treffenden Worte“ zu finden und seinen Figurationen eine unzweifelhafte Bedeutung einzuschreiben: „Das Wort, das nur die gewöhnlichste Funktion und die banale Seite eines Objekts festhält, schiebt sich zwischen das Objekt und uns und würde seine Form vor uns verdecken, hätte sich die Form hinter den Bedürfnissen verborgen, die das Wort gezeugt haben“,1 schreibt Henri Bergson in seiner theoretischen Erörterung des Lachens, im Wissen, daß Worte dieser spezifischen aber auch jeder weiteren Figuration des offenen Mundes nicht gerecht werden können. Das Wort muß also umgangen werden, um zur Form – so die Wortwahl Bergsons – vorzudringen. Diese tritt jedoch immer nur im Verlauf in Erscheinung, sie bleibt ephemer, was wiederum ein besonderes Bedürfnis nach ihrer Stillstellung in Bedeutung, in Worten weckt. Ein anderer denn der hermeneutische Weg wird unvermeidlich, soll dieser Zirkel durchbrochen werden: Aufgrund seiner Nähe zum Pathischen und, damit einhergehend, durch seinen Charakter als Übergangsobjekt übernimmt der Mund eine primäre Rolle in jenem grundlegenden Spiel, welches zur Konstituierung von Realität notwendig ist....