Die weiße Höhle
von Dirk Baecker
Erschienen in: Recherchen 99: Wozu Theater? (01/2013)
Kunst ist Polemik, Streit wider unseren Verstand, unsere Sinne oder unsere Gesellschaft. Gleich dreimal macht Claudia Bosses Projekt Belagerung Bartleby im Hebbel Theater Berlin im April 2004 auf diese Aussage die Probe aufs Exempel, erstens durch die Auswahl des Theaterraums, in dem das Projekt stattfand, zweitens durch die Auswahl des Textes, dem die „theatrale Installation“ gewidmet wurde, und drittens durch diese Installation selbst.
Erstens. Erinnern wir uns daran, was der Architekt Oskar Kaufmann 1907/08 erreichen wollte, als er seinen Bau des Hebbel-Theaters, damals noch in der Königgrätzer Straße, dem Publikum vorstellte. Niemand hat darüber präziser Auskunft gegeben als er selbst.1 Er hat einen Tempel gebaut, der im Bewusstsein um das Dilemma, dass der Theaterbau bis dato entweder ein griechisches Amphitheater mit freiem Einblick des Publikums von allen Seiten oder ein Renaissance-Theater mit perspektivischer, Tiefe und Illusion betonender Guckkastenbühne war, die Kunst und nicht die Gewohnheiten des Publikums zum Maßstab nahm. Nichts war ihm wichtiger als die scharfe Betonung der Trennung von Bühne und Zuschauerraum, dies jedoch nicht, um zwei Räume, sondern um einen Raum zu schaffen, in dem beides seinen aufeinander bezogenen Platz hat.
Sein Maßstab war nicht die Beobachtung zweiter Ordnung (Beobachtung von Beobachtern), die das Theater seit...