Magazin
Geschichten vom Herrn H.
Theater und Verbrechen
von Jakob Hayner
Erschienen in: Theater der Zeit: Franz Rogowski: Der Schmerz des Boxers (09/2018)
Dass Theater verdächtig erscheint, ist kein neues Phänomen. Schon dem antiken Philosophen Platon war – vereinfacht dargestellt – die Kunst der Nachahmung und Verstellung nicht geheuer, sie erschien ihm geradezu staatsgefährdend. Auch der moderne Aufklärer Jean-Jacques Rousseau hatte keine besonders günstige Meinung vom Theater, errege es doch schädliche Leidenschaften, verderbe die Sitten und verherrliche zudem das Verbrechen. Nun ist es nicht zu leugnen, dass im Theater Verbrechen dargestellt werden: Mord, Totschlag, Intrige, Erpressung, Nötigung, Täuschung und vieles mehr sind in zahlreichen Bühnenwerken zu sehen. Ob jedoch die Darstellung der Übertretung gesellschaftlicher Normen auf der Bühne selbst eine solche Übertretung sei – und damit auch zu ahnden wäre –, ist höchst zweifelhaft, auch wenn sich in letzter Zeit die Stimmen mehren, die dieser Meinung anhängen. Dass das Theater aber als solches ein Verbrechen sei, ist eine Behauptung, die noch einen Schritt weitergeht.
Als Milo Rau beim diesjährigen Theatertreffen in Berlin die Einladung zu einer Laudatio nutzte, das deutsche Stadttheater schlicht mit der industriellen Organisation millionenfachen Mordes in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern nicht nur zu vergleichen, sondern in eins zu setzen, bediente er sich einer fragwürdigen Wortwahl. Aber nicht nur das: Ebenso fragwürdig – aber weniger von den bisherigen Kommentatoren infrage gestellt –...