Vom Ende als Anfang
von Anne Fritsch
Erschienen in: Theater unser – Wie die Passionsspiele Oberammergau den Ort verändern und die Welt bewegen (04/2022)
Ich habe nur eine vage und theoretische Vorstellung davon, wie die Inszenierung des Stoffs sich über die Jahrhunderte entwickelt hat. Wie ich Berichten und den spärlichen Filmausschnitten im Archiv des Bayerischen Rundfunks und aus dem Oberammergauer Museum entnommen habe, war das Spiel lange Zeit ein wenig reflektiertes Runterspielen christlicher Klischeebilder, inklusive der mehr oder eher weniger subtilen Verbreitung althergebrachter Feindbilder. Hätte sich die Gemeinde auch 1990 wieder für das Bewahren und gegen die Reformation des Spiels entschieden, wer weiß, ob die Spiele den Sprung in die Gegenwart geschafft hätten oder ob sie nicht vielmehr in Irrelevanz versunken wären. Ziemlich sicher wären sie nicht zu einem Paradebeispiel für die Überwindung jahrhundertealter Ressentiments und Vorurteile geworden, zu einem Sinnbild für Toleranz und Miteinander.
Die Wahl Stückls
Die Wahl von Christian Stückl zum Spielleiter für die Passionsspiele 1990 war knapp. In einer Stichwahl wurde er am 8. Juli 1987 mit neun zu acht Stimmen vom Gemeinderat gewählt. Hans Maier, Spielleiter von 1980 und 1984, unterlag. Wirklich verstehen konnte dieser seine Niederlage wohl nicht. „Trotzdem will Maier die Sache nicht seinen Nachfolger entgelten lassen: ‚Hoffma, dass a’s zammbringt‘.“50
Was diesen ominösen Nachfolger angeht, der im Titel des Artikels nur „Kaiphas’ Sohn“ genannt wird,...