Abschied
Für meinen Flaneur
Erschienen in: Theater der Zeit: Fuck off (09/2015)
Assoziationen: Akteure
„Du kennst doch sicher Grock?“ – „Ja, der weltberühmte Schweizer Clown!“ Bert gab mir ein blaues, taschentuchgroßes Stoffmuster in die Hand. „Das ist der Stoff für dein Kostüm, ein kobaltblauer, bodenlanger Unterrock mit Trägern aus Jersey.“ Seine Stimme war leise, heiser und zärtlich. Er trug an diesem Morgen einen Norwegerpullover. Feste alte Wolle. Er stand ihm. Ausgesucht, besonders, wie alles, was Bert umgab.
Der Winter wollte nicht zu Ende gehen 1993, als ich Bert begegnete, kurz vor Probenbeginn zu „Alkestis“ von Euripides. Ich mochte ihn sofort, und mir war unvorstellbar, dass jemand ihn nicht mögen könnte.
Bert war schön. Bert hatte was Französisches. Souplesse, Noblesse sind Worte für ihn. Bert trug fein modellierte Backenbärte bis an die Unterkante der Ohrläppchen und einen Schnurrbart à la Willy DeVille. Seine blauen hellwachen Schalkaugen stachen klar aus schattigen Augenhöhlen. Gierig nach Wachheit – gegen den Schlaf.
Bert lässt mich an den von Walter Benjamin beschworenen „homme de passage“ denken, an jenen an lebenslangem Schlafmangel wachen Flaneur. Ein Flaneur war Bert. Er suchte nach dem Trick der Verlangsamung des Lebens. Er trotzte der engen Zeit, trotzte hysterischen Theatermenschen vor drohenden Premieren mit zärtlicher Gelassenheit. Mit jener Gelassenheit, die die Seele im Traum zu bewahren...