Der Kompromiss ist ein schlechter Regisseur
Theater als Museum oder Labor
von Heiner Goebbels
Erschienen in: Recherchen 96: Ästhetik der Abwesenheit – Texte zum Theater (08/2012)
Einem klugen Hinweis und dem Archiv alter E-Mails folgend konnte ich feststellen, was mir selbst kaum aufgefallen ist: dass sich nämlich unter der Hand das Thema dieses Symposions verändert hat. Wo ursprünglich einmal von „Neuen Formen“ die Rede war, sind wir jetzt angehalten, von „Neuen Theaterrealitäten“ zu sprechen. Nun kann man das verwechseln und schnell das eine für das andere nehmen, aber de facto ist es doch ein Unterschied, ob wir über das sprechen, was inzwischen bereits zu einer neuen Realität des Theaters geworden ist – wenn auch nur partiell, in experimentellen Spitzen –, oder ob wir über die Zukunft des Theaters sprechen, nämlich über Neue Formen, die uns noch überraschen werden.
Das Theater befindet sich in einer grundsätzlichen und schnellen Entwicklung des Aufbruchs. Wir sollten uns diesbezüglich zweierlei fragen: Wie muss ein Theater heute aussehen, wenn wir wollen, dass in ihm morgen etwas entsteht, was wir jetzt noch nicht kennen? Und wie können wir für neue Theaterformen ausbilden, von denen wir noch nicht einmal wissen, wie sie aussehen?
Es gibt eine relativ klare Abfolge für das Verhältnis von Repertoire und Ausbildung. Aus der Majorität einer künstlerischen Praxis (nicht aus der von Theateravantgarden) entsteht der Konsens eines Kunstbegriffs (oder umgekehrt)...