Aktuell: in nachbars garten
Literatur: Am Sein tunen
von Tom Mustroph
Erschienen in: Theater der Zeit: Blackfacing (10/2014)
Thomas Melles Roman „3000 Euro“ entwirft ein überraschendes Szenario der Selbstermächtigung von gesellschaftlichen Randexistenzen. Auch wer keinen Besitz mehr hat, verfügt noch über Werkzeuge. Zumindest über Instrumente der Selbstinszenierung und Selbstillusionierung. In dem auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis geführten Roman „3000 Euro“ lockt Melle in jene schummrigen Bereiche, in denen sich Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung überlagern und wo Wachbewusstsein und Schlafbewusstsein miteinander wilde Pirouetten drehen.
Der Anfang ist eine Wachtraumübung. Anton, ein Obdachloser mit Sozialarbeiteranschluss, hält auf seinem Schlafplatz nahe einem Supermarkt die Augen geschlossen, solange es geht. Er dehne das Dämmern aus, stauche und modelliere den Traum, verdünne das Bewusstsein, schreibt Melle. Anton will noch nicht in der Wachwelt der anderen als gescheiterter Student, Versager, Schuldner auftreten. Seine 3000 Euro Hauptschulden geben dem Roman auch den Titel. Diese Fehlsumme wird gespiegelt in dem Honorar, das die Supermarktkassiererin Denise als Darstellerin bei einem Pornodreh verdiente. Befänden wir uns noch in den Erzählmodi der Traumfabrik, würde das Haben der einen das Soll des anderen ausgleichen, zumal beide sich einander zärtlich nähern.
Im Post-Hollywood-Zeitalter weiß Denise um diese Option. Sie wählt sie aber nicht – und die zwei Seelen driften wieder voneinander weg. In diese Drift integriert Melle Beobachtungen über das...