Look Out
Potenziert feinfühlig
Die Kölner Schauspielerin Sophia Burtscher besticht in ihren Rollen durch Sensibilität und einen subtilen Sinn für Komik
von Martin Krumbholz
Erschienen in: Theater der Zeit: Schauspiel Leipzig – Martin Linzer Theaterpreis 2017 (06/2017)
Assoziationen: Schauspiel Köln
Eine von mehreren Episodenrollen, die Sophia Burtscher in Botho Strauß’ „Groß und klein“ am Schauspiel Köln spielte, war die namenlose Frau, in der Szene „Nachtwache“. Die Frau, verfremdet per Live-Kamera, ereifert sich darüber, dass ihr Mann sich ohne besonderen Anlass an ihr Bett gesetzt hat, steigert sich hinein in Erregung und Feindseligkeit, bevor die Protagonistin Lotte auftritt, und die Szene sich in ein Mode-Gespräch verwandelt. So, wie die 26-jährige Burtscher die Frau spielte, ging es nicht um Dünnhäutigkeit, sondern um eine derart potenzierte Feinfühligkeit, dass Hysterie, damit verglichen, eine läppische Diagnose gewesen wäre. Man dachte: Wow! – und sollte man diese Schauspielerin kennen?
Es war ihre erste Rolle nach dem Studium. Weitere folgten noch in derselben „Groß und klein“-Inszenierung der jungen Regisseurin Lilja Rupprecht, etwa die wissenschaftliche Assistentin Gudrun, die sich in einen tragikomischen Clinch mit ihrem spinösen Partner verstrickt; die Schauspielerin war kaum wiederzuerkennen, und es war klar: So wenig sie die „Frau“ an eine schlichte und schlechte Komik verraten hatte, so souverän beherrschte sie auch das Fach Situationskomik. Oder Geschlechterkomik. Es sei eine spannende Arbeit gewesen, berichtet die 1990 geborene Bregenzerin. Man hört heraus, dass sie selbst irgendwann gern einmal Regie führen würde. Freimütig erzählt sie dann aber auch von der „Furcht, etwas falsch zu machen.“ Der Regisseurin Rupprecht assistiert sie einen „lässigen Ehrgeiz“.
Ausgebildet wurde Sophia Burtscher am Salzburger Mozarteum, von dort hat sie der Musikprofessor Cornelius Borgolte ans Schauspiel Köln empfohlen. Vor dem Schauspielstudium hatte sie bereits fünf Jahre in Wien Medienwissenschaften studiert. „Ich wäre auch gern Akademikerin“, bemerkt sie ihrerseits mit lässigem Ehrgeiz. Ihre allererste Theaterrolle, erzählt sie, war die Zirkusdirektorin im Sandkasten, ihr Zugang zur Welt des Theaters eher performativer Natur. Durch ihr Bregenzer Elternhaus – der Vater ist Baumeister – war sie jedenfalls kaum vorbelastet. Freilich ministrierte sie sieben Jahre lang im katholischen Gottesdienst, wenn dies in performativer Hinsicht etwas besagen will.
In ihrer zweiten Kölner Produktion, Tschechows „Iwanow“, wurden besetzungstechnisch die Ansprüche radikal gesteigert: Sophia Burtscher spielte nun gleich beide dominanten Frauenrollen, Anna Petrowna, die Ehefrau des Titelhelden, und Sascha, die jüngere Geliebte. Nichts verbindet die beiden außer der Zuneigung zu einem Müßiggänger, der in seinem Eulennest melancholisch verfault. Aber diese Liebe, sowohl die reife und zunehmend enttäuschte der todkranken elegischen Ehefrau wie die naive, jäh aufschießende Liebe des Girlies Sascha konnte Sophia Burtscher sich scheinbar mühelos zu eigen machen. Unversehens, nicht nur wegen der Doppelrolle, wurde sie zum Zentrum der fragilen, aber spannenden Inszenierung von Robert Borgmann, die sich aus dieser überraschenden Besetzungsidee speist wie aus einem unterirdischen Kraftwerk.
„Flirrig“ nennt Sophia Burtscher die „Iwanow“-Arbeit, die übrigens kein Publikumserfolg war. Sie war vermutlich zu flirrig, zu wenig konsistent, zu wenig à la Tschechow. So wie „Groß und klein“ selbst einigen Kritikern zu wenig à la Strauß war. Die Anfängerin Burtscher hatte das Pech oder vielmehr das Glück, zweimal in solche Produktionen zu geraten, die einer bequemen Theaterästhetik nicht entsprachen. Und als sie schließlich das Glück oder auch das Pech hatte, in eine vom Publikum mehr geliebte Produktion zu geraten – als „schöne Helena“ im zweiten Teil des „Faust“ –, da schien Sophia Burtscher ein wenig zu fremdeln. Aber so eine Erfahrung gehört zum Schauspielerleben eben auch dazu. //
„Iwanow“ mit Sophia Burtscher ist zum letzten Mal am 7. Juni am Schauspiel Köln zu sehen.