Essay
Das Drama des Anthropozäns
von Frank M. Raddatz
Erschienen in: Wendungen: Das Drama des Anthropozäns (03/2021)
Assoziationen: Debatte Dossier: Klimawandel
Die Frage, warum ausgerechnet das Theater, das sich gerne als Seismograf preist, als mit unzähligen feinen Antennen ausgestattete, stets auf der Höhe der Zeit agierende Apparatur, mit dem Themenfeld der ökologischen Krise(n) seine Schwierigkeiten hat, ist leicht zu beantworten. Der Kosmos, den die Bühne eröffnet, ist vornehmlich sozialer Natur. Menschen geraten in – wodurch auch immer bedingten – Konflikten aneinander und verkörpern zugleich die mitunter tragische oder zwiespältige, jedenfalls zumeist nicht für alle Beteiligten gleichermaßen glückliche Lösung des Problems. Genau diese anthropozentrische Lesart der Welt steht in der Ära des Anthropozäns zur Disposition.
Das Argument ist von einem stofflichen Ansatz zu unterscheiden, wie ihn etwa der Theaterregisseur Tobias Rausch vorbringt, der bezweifelt, dass sich „Naturphänomene wie zum Beispiel das Artensterben oder Fluten, Dürren und Stürme zum bühnentauglichen Stoff machen“ (2019) lassen. Dem widerspricht, dass komplexe Geschehen wie Kriege seit Jahrtausenden von Aischylos, über Christoper Marlowe bis zu Heinrich von Kleist oder Bertolt Brecht dem Theaterspiel als Sauerteig dienen, ohne dass sich ein derartiger Inhalt abnutzt. Zudem besaß das antike Theater durchaus, wie das Tragödienmodell König Ödipus zeigt, die Möglichkeit, Erdbeben oder Pestausbrüche auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen, mithin zu subjektivieren. Zwar sind auch heute, wie der Name des anbrechenden Zeitalters besagt,...