Auftritt
Theater Freiburg: Likes für die Lynchmorde
„Appropriate“ von Branden Jacobs-Jenkins – Regie Peter Carp, Bühne Kaspar Zwimpfer, Kostüme Gertrud Rindler-Schantl
von Elisabeth Maier
Assoziationen: Baden-Württemberg Theaterkritiken Peter Carp E T A Hoffmann Theater Theater Freiburg

Abgetrennte Genitalien und Gliedmaßen tauchen im Keller der ehemaligen Plantage in den Südstaaten der USA auf. Der Besitzer hat sie in Einmachgläsern konserviert. Als seine Nachgeborenen die schrecklichen Trophäen zwischen Müllbergen im Keller aufstöbern, bricht für sie eine Welt zusammen. Das gilt auch für das Familienalbum. Auf vergilbte Seiten sind keine Bilder vom Kindergeburtstag geklebt. Menschen grinsen in die Kamera, während man daneben die Sklaven erhängt. In Schwarzweiß hat der alte weiße Mann fein säuberlich die Lynchmorde an Schwarzen dokumentiert, die noch im zwantigsten Jahrhundert in Nordamerika als Volksspektakel zelebriert wurden. Diese Geister der Vergangenheit beschwört der 38-jährige US-Dramatiker Branden Jacobs-Jenkins in seinem Stück „Appropriate“ (deutsch: Was sich gehört). Den Spagat zwischen der tragischen Familiensaga und komischen Momenten schafft Peter Carp, der Intendant des Theaters Freiburg, in seiner Inszenierung zwar nur bedingt. Wie aktuell die zersetzende Kraft des Rassismus auch heute noch ist, bringt seine Regiearbeit dennoch stark zum Tragen.
Deshalb kommt das Stück des US-Amerikaners gleich an zwei Theatern heraus. Zwei Wochen nach der deutschsprachigen Erstaufführung des Stücks am ETA Hoffmann Theater in Bamberg legt Carp mit seiner Inszenierung im Kleinen Haus des Freiburger Theaters nach. In Zeiten, da der streitbare Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer mit der Debatte über die Verwendung des N-Worts für Schlagzeilen sorgte, ist das Thema aktuell wie eh und je. Die Spurensuche von Branden Jacobs-Jenkins, der als Schwarzer selbst einen anderen Blick hat, beginnt in der Familie. Vor der Testamentseröffnung knallt der verlorene Sohn Frank mit seiner blutjungen Verlobten River in das Leben seiner Kernfamilie. In bunten, aus der Zeit gefallenen Klamotten inszenieren sich Thieß Brammer und Charlotte Will. Schnell bröckelt die philanthropische Fassade der vermeintlichen Aussteiger, als es um das Erbe des Vaters geht. Kostümbildnerin Gertrud Rindler-Schantl setzt nicht nur hier auf Klischees. Auch die Kostüme der Übermutter-Schwester Toni und des geschäftstüchtigen Bruders Bo reduzieren die Figuren zu stark auf Typen.
Doch was bleibt von dem ehemaligen Plantagenbesitzer, der ein dunkles Geheimnis verbirgt? Verwelkte Blätter und dunkle Brauntöne tauchen das ehemalige Herrenhaus in Kaspar Zwimpfers Bühnenraum in ein trübes Licht. Malte Preuss‘ Sounddesign verbreitet Angst. Seine Klanglandschaft spitzt sich zu. Das Glashaus, in dem die Menschen sitzen, hat Risse. Längst ist der Südstaaten-Glanz verblasst. Dennoch hoffen die Kinder darauf, dass ihnen der Vater ein kleines Vermögen hinterlassen haben könnte. Statt sich um den Nachlass zu kümmern, verheddert sich die Tochter Toni in Kämpfen mit ihrem Sohn Rhys, der völlig auf der Spur geraten ist. Anja Schweitzer als Helikopter-Mum und Antonis Antoniadis als halbwüchsiges Monster liefern sich Gefechte, deren komisches Potenzial besticht. Gerade da zeigt sich Jacobs-Jenkins‘ Tiefgang besonders schön. Das Teenie-Monster steht für eine junge Generation, die ihre Ideale verloren hat.
Das gilt auch für die Familie des angepassten Sohnes Bo, den Holger Kunkel als knallharten Geschäftsmann einführt. Auf seine gescheiterten Geschwister schaut er herunter. Klug demontiert der Schauspieler die erfolgreiche Fassade. Am Ende steht er da als ein Mann, den seine jüdische Frau Rachael des Rassismus bezichtigt. Mareike Kregel stattet ihre Rolle mit aggressiven Zügen aus. Aus den Dialogen des Ehepaars meißelt Jacobs-Jenkins den Rassismus heraus, der sich schon im Familienleben offenbart. Sie habe sich „immer als die Jüdin gefühlt“, sagt die amerikanische Super-Mutter. Dabei klingt ihre Stimme verbittert. Gesprochen hat das Ehepaar darüber nicht, und das jahrelang.
In „Appropriate“ zeigt Jacobs-Jenkins nicht die gnadenlosen Ku-Klux-Klan-Querdenker, die Schwarzen ganz offensichtlich brutale Gewalt angetan haben. Ihn interessieren die klugen Menschen, die sich von der Ideologie mitreißen ließen. Dazu gehörte der Plantagenbesitzer Ray. Seine Tochter Toni versucht, das Ideal ihres Vaters hochzuhalten: „Er ist in den letzten zwanzig Jahren in diesem Haus verrottet, aber früher war er ein hochintelligenter Mensch, geistreich und zivilisiert! Top-Jurastudent an Harvard, und eben kein unkultivierter Hinterwäldler mit Knarre im Anschlag! Er wäre fast Richter des Obersten Gerichts geworden!“ Wie schwer die Aufarbeitung der Vergangenheit in dieser Familie fällt, bringen diese Sätze auf den Punkt. Erschreckend unverkrampft geht die Tochter von Bo und Rachael mit der Vergangenheit um. Sie würde die Bilder der Lynchmorde am liebsten auf Instagram posten, „das gibt Likes“. Die schreckliche Ignoranz gegenüber der Geschichte macht sich mit solchen Sätzen Luft. Mit seinen 38 Jahren hat Jacobs-Jenkins, Absolvent der Elite-Universität Princeton, die Hochphase des Rassismus in den USA selbst nicht miterlebt. Sein fesselnder Text kommt dem subtilen Rassismus auf die Spur, die noch heute die Gesellschaft in den USA zerfrisst. Dass Peter Carp die komischen Elemente zu sehr betont, gibt dem Abend zwar eine gewisse Leichtigkeit zurück. Wenn am Ende Waschbären wie Staubsaug-Roboter durch die zerfallende Plantage flitzen, ist das eher unfreiwillig komisch. So verwässert die Regie dann doch die Tiefenschärfe dieses wichtigen Theater-Texts.
Erschienen am 30.5.2023