Look Out
Musik zum Sehen
Der Komponist Matthias Krieg interessiert sich nicht für Stile, sondern für das Erlebnis der Musik
Erschienen in: Theater der Zeit: Frontmann Hamlet – Der Dresdner Musiker-Schauspieler Christian Friedel (03/2013)
Fast heimlich, aber nicht still und leise lebt sich derzeit neben dem Intendanten Michael Börgerding und drei Hausregisseuren noch eine weitere konstante Größe am Theater Bremen ein: der Musiker Matthias Krieg. Zwar taucht der Gitarrist, Schlagzeuger und Komponist nur unter den „Gästen“ des Hauses auf der Homepage auf, gleichwohl hat sich der gebürtige Karl-Marx- Städter (Chemnitzer) mit seiner Musik zu Thomas Melles „Sickster“ und zu Eugène Labiches „Die Affäre Rue de Lourcine“ glänzend in Bremen eingeführt – und wird an diese Erfolge anknüpfen. Denn Krieg verbindet ein nahezu symbiotisches Arbeitsverhältnis mit Hausregisseur Felix Rothenhäusler.
Wo Rothenhäusler inszeniert, ist Krieg meist nicht fern. Derzeit arbeiten die beiden in Göttingen an Bertolt Brechts „Mutter Courage“. In Bremen haben sie sich für diese Spielzeit noch Friedrich Schillers „ Räuber“ vorgenommen (Premiere am 1. Juni). „Die Räuber“ wird die bereits 14. gemeinsame Inszenierung der beiden, obwohl sie erst seit 2008 zusammenarbeiten. Damals inszenierte Rothenhäusler als Student Sophokles’ „Ödipus“ und wurde damit zum Festival Radikal jung nach München eingeladen.
Wie so viele, berichtet Matthias Krieg, sei er eher zufällig am Theater gelandet. Er studierte noch Psychologie und Sound Engineering in Berlin, als ihn Aureliusz Smigiel davon überzeugte, dass er doch eigentlich zu anderem berufen sei. Womit Smigiel, der Matthias Krieg für erste gemeinsame Arbeiten im Theater Eigenreich gewann, wieder einmal seinen weithin bekannten Riecher für große Talente bewies.
Die Vorgehensweise Kriegs, der als Kind zunächst Waldhorn spielen lernte, ist nahezu immer gleich. „Ich spreche mit Felix über die Stücke. Dann entwickeln wir gemeinsam Assoziationen dazu, die ich dann versuche, auf die Musik zu übertragen.“ Im Falle der Romanvorlage „Sickster“ von Thomas Melle überlegten sich Rothenhäusler und Krieg zunächst, was sie mit Wahn verbinden – und kamen darin überein, dass einer, der Wahnvorstellungen hat, den Wahn vor allem als ein Wahrnehmen von Möglichkeiten empfinde, mit zahlreichen, zuweilen plötzlichen Ausschlägen sowohl ins Positive als auch ins Negative.
Matthias Krieg zog daraus die Konsequenz, dass seine Musik zu „Sickster“ vor allem durch einen ständigen Wechsel zwischen Dur und Moll gekennzeichnet sein müsse. Auch nimmt der Komponist die enormen Schwankungen und Steigerungen in den Wahnvorstellungen der Figuren hier außerordentlich geschickt auf: mit je nach Grad des Wahns sich steigernden Trommelwirbeln sowie einer mit zunehmendem Irrsinn immer lauter auf der E-Gitarre vorgetragenen Chromatik, die schließlich die nur noch schreienden Akteure überdeckt.
Auf einen bestimmten Stil möchte sich Matthias Krieg nicht festlegen lassen und betont, dass er sich ohnehin nicht für Stile interessiere. Viel wichtiger sei das Live-Erlebnis von Musik: Musiker nicht nur zu hören, sondern ihnen beim Spielen zusehen zu können. Nach den ersten Eindrücken aus dem Theater Bremen mit Matthias Krieg an Schlagzeug und Gitarre können wir ihm nur zustimmen: Ihm zuzusehen macht beinahe ebenso viel Spaß wie ihm zuzuhören. //
TdZ-Termin: „Mutter Courage und ihre Kinder“ ab dem 9. März 2013 am Deutschen Theater Göttingen.