Entscheidung für das Asyl
Erschienen in: Recherchen 135: Flucht und Szene – Perspektiven und Formen eines Theaters der Fliehenden (05/2018)
Ich freue mich über die Gelegenheit, im Zusammenhang eines für uns in Europa freilich sehr beschämenden Themas, Flucht und Flüchtlinge, prädramatisches und postdramatisches Theater vergleichend zu thematisieren. Theaterszene und Flucht ist ein gutes Terrain für diesen Vergleich. Flucht ist nämlich, das wäre eine erste Beobachtung, weniger auf der im engeren Sinne dramatischen Bühne prominent – höchstens in den Schlachtszenen Shakespeares oder gelegentlich in Kleists „Literatur des Krieges“. Das ist sie vielmehr im Theater vor dem Drama, nach dem Drama und außerhalb des Dramas. Flucht als Thema widerspricht von Anfang an jener sachlichen Geschlossenheit, die das Drama seinem Prinzip nach verlangt. „Das Drama ist absolut.“1 Peter Szondis grundlegende Bestimmung will sagen: Die Vorbedingungen, Voraussetzungen, Umstände des Konflikts spielen idealtypisch keine wesentliche Rolle für das dramatische Geschehen. Das ist aber beim Thema Flucht gerade der Fall: Setzt Flucht doch ein Geschehen in der Vergangenheit voraus, von dem die Fluchtsituation selbst gleichsam nur der sichtbare Ausläufer ist. Eher noch ist Flucht (und Verfolgung) ein thème de prédilection, geradezu ein Lebensnerv des Films, gerade auch des populären Films. Flucht und Vertreibung im Gefolge des Zweiten Weltkrieges fand in neuerer Zeit künstlerischen Ausdruck vor allem im Kinofilm. Man kann zahlreiche Filme nach dem...