Theater der Zeit

Auftritt

Konstanz: Kraft der Improvisation

Theater Konstanz: „Penthesilea“ frei nach Heinrich von Kleist. Regie Leonie Böhm, Bühne Sören Gerhardt, Kostüme Mascha Mihoa Bischoff

von Bodo Blitz

Erschienen in: Theater der Zeit: Der Knick im Kopf – Theater und Migration (12/2017)

Assoziationen: Theater Konstanz

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Diese Inszenierung ist eine Befreiung: Leonie Böhm sprengt mit ihrer Konstanzer Inszenierung die Fesseln des Konventionellen. In Böhms „Penthesilea“ fungiert der Bühnenraum als direkter Begegnungsort zweier Sehnsüchtiger, welche die gegenseitige Sprache der Liebe erst erlernen müssen. Der Konstanzer Theaterabend lebt von der Improvisation. Das passt, insofern Achill und Penthesilea auch bei Kleist die Sicherheit eingespielter Verhaltensweisen vollständig verlassen. Die Leitfrage bei Kleist wie bei Böhm könnte lauten: Wie weit trägt das Spiel rückhaltloser Begegnung?

Johanna Link als Penthesilea verkörpert mit ihrem ersten Auftritt zudringliche Sehnsucht. Sie schreitet die erste Zuschauerreihe ab und sucht sich einen männlichen Partner für das Rosenfest, der sie lieben muss. Ihre Improvisation bündelt die schauspielerische Kraft des Nonverbalen. Wenn Lukas Vögler als Achill mit Rollerblades und überdimensioniertem Mantel den Zuschauerraum betritt, ist Penthesileas Aufmerksamkeit dauerhaft und anderweitig gefesselt.

Schnell legt Johanna Link Posen der Beeindruckung ab, weil sie merkt, dass dieser Held von Troja weicher daherkommt, als sein Auftritt vermuten lässt. Lukas Vogler deutet männliche Gesten an, bricht diese aber permanent in seinem Spiel. Er wirkt dadurch verletzlich und zugänglich, für Penthesilea in hohem Maße attraktiv. Im intimen Raum der Werkstatt wohnt der Zuschauer dem Schauspiel bei, wie Achill und Penthesilea die Regeln ihrer jungen Beziehung ausagieren. Wie gehen beide miteinander um? Der Bühnenraum ermöglicht es den Zuschauern, anders als bei Kleist, bereits die erste Begegnung von Penthesilea und Achill unmittelbar verfolgen zu können. Böhms Ermutigung des direkten Schauspiels bricht Kleists Mauerschau. Und hier liegt die Kunst der Inszenierung: Das erkennbar hohe Maß an schauspielerischer Improvisation verleiht der Begegnung beider Liebenden Authentizität.

Die Balance des miteinander unerfahrenen Paares bleibt auszutarieren. Dabei erweist sich die Neigung zur Dominanz als zentrales Problem: Wer darf den Takt vorgeben? Achill fällt in männliche Muster zurück, wenn er sein Schlagzeug auf Rollen mit einem großen Seil vom Bühnenhintergrund in den Vordergrund zieht und Penthesilea mit Becken auf dem Kopf zum Bestandteil seines Musikinstrumentes werden lässt. In diesem Bild transportiert sich einerseits Achills Artikulation von Liebe, denn Lukas Vögler performt das Foreigner-Lied „I Want to Know What Love Is“. Andererseits ist Penthesileas Ausbruch aus dieser fremdbestimmten Szenerie nur zu verständlich. Die zweite, tödliche Runde der Begegnung nimmt ihren Lauf: Im Stile einer Ringkämpferin fordert Johanna Link als Penthesilea einen Achill, der weiß, was auf ihn zukommt. Seine Versuche, sich unter den Zuschauern zu verstecken, schlagen fehl. Keuchend, barbusig, verletzlich und kraftvoll zugleich stürzt sich Links Penthesilea auf Achill, bis sie ihn zu Boden wirft. Die Improvisation erreicht ihre natürliche Grenze, das Ende des Spiels.

Und die Macht gesellschaftlicher Konvention? In der Inszenierung muss sich der Zuschauer jene destruktive Kraft weitgehend selbst erschließen. Böhms Skizze des Amazonenstaates bleibt gekoppelt an ein Assoziationsgeflecht aus Transgender, Harmonie und körperlicher Geborgenheit. Thomasz Robak als Protoe und Johannes Rieder in der Rolle der Oberpriesterin entwerfen dieses gleich zu Beginn der Inszenierung im werbenden Dialog mit dem Publikum. Die Brutalität der Normen des Amazonenstaates wird gerade nicht ausgespielt. Damit fehlt der Hintergrund für den mörderischen zweiten Kampf, den Penthesilea bei Kleist ja nur deshalb suchen muss, um der Gesellschaftsregel des kriegerischen Überwindens ihres Geliebten gerecht zu werden. Böhms mutiger Fokus auf die existenzielle Begegnung der Liebenden setzt einen anderen Schwerpunkt: Ein moderner Blick auf die Energie und Fragilität grenzüberschreitender Zweisamkeit. //

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