Theater und Zeichen (1971)
von Jürgen Hofmann
Erschienen in: Recherchen 114: Fiebach – Theater. Wissen. Machen. (06/2014)
Vor fünf Jahren fand beim Internationalen Opern-Colloquium, eher beiläufig, eine Kontroverse über bedeutende Theaterkonzeptionen des 20. Jahrhunderts statt. Dabei interpretierte der Philosoph Ernesto Grassi den programmatischen Essay von Antonin Artaud Über das balinesische Theater als Plädoyer für ein realistisches Schauspiel, indem er die darin enthaltene Einforderung zeichenhafter Sinnlichkeit der Bühne so auslegte: Der unspezifisch an Sinneserscheinungen gebundene homo sapiens suche durch zeichenhafte Abstrahierung von der diffusen Sinnlichkeit seines Alltags nach den bestimmenden geistigen Urmotiven. Die Erkenntnis dieser ursprünglich sinngebenden Zeichen und Einsichten erlaube dann ihm, dem Menschen, realistische gesellschaftliche Möglichkeiten zu entwerfen.
Joachim Fiebach, Theaterwissenschaftler an der Humboldt-Universität in unserem Nachbar-Stadtteil, hielt Grassi seinerzeit entgegen, „daß ein Theater, das eine solche grundsätzliche Abhängigkeit des Menschen von irrationalen Kräften darstellt“, zutiefst unschöpferisch, ja flach imitatorisch sei. Menschlich-biologische Grundtatsachen wie die Liebe äußerten sich stets historisch konkret, nicht etwa ingeniös-ursprünglich. „Ein realistisches Theater“, so unser Kollege aus der DDR, „muß streng materialistisch sein, da die materielle Situation des Menschen für sein Verhalten bestimmend ist. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Sinnlichkeit des Theaters.“
Diese Auseinandersetzung zwischen Grassi und Fiebach betrachte ich als exemplarisch für die wissenschaftstheoretische Situation unseres Fachs. Eines ihrer Hauptprobleme dürfte die (fehlende) methodologische Verknüpfung des traditionellen Standpunkts der Disziplin...