Report
Experiment Lehrstück – Theatergeschichte revisited
Bertolt Brechts Lehrstücke fordern die aktive Teilnahme des Publikums, doch Theorie und Aufführungspraxis klaffen oft auseinander. Was kann aus partizipativen Theaterformen heute entstehen? Können wir darin lehren? Oder lernen?
von Leonard Kaiser
Assoziationen: Hamburg Theatergeschichte Theaterkritiken Gruppe Ligna Kampnagel
Brecht und Kurt Weills „Lindberghflug“ vertont die erste Alleinüberquerung des Atlantiks von New York nach Paris durch Charles Lindbergh am 20. Mai 1927 – ein historisches Ereignis und Triumph des technischen Fortschritts. Im „Badener Lehrstück vom Einverständnis“ stürzt der fiktive Flieger ab, doch die Menschen verweigern ihm ihre Hilfe, denn: „Das Brot wurde dadurch nicht billiger.“ Ihre fehlende Hilfeleistung ist ein Widerstand gegen die individuelle Ruhmesgeschichte und eine Klage über die fehlende soziale Entwicklung der technischen.
Das Kollektiv LIGNA erforscht in seinen Arbeiten seit 2002 immer wieder performativ die Möglichkeiten des Publikums als Koproduzent:innen einer Theaterverabredung und immersive Raumkonzepte. Zusammen mit der Band aus Musiker:innen und Performer:innen 1pp1 verbinden sie im „Lehrstück Lindbergflug“ die beiden Lehrstücke Brechts und laden das Publikum zum Experiment ein: Der gemeinsamen Aufführung.
Wir, die Flieger
Es beginnt als Audioperformance, indem wir Kopfhörer bekommen und uns auf Anweisungen bewegen: Auf einem Bein stehen, die Arme ausstrecken, balancieren, die Balance verlieren. Der Versuch der Selbstverkörperung des Fliegers bleibt eher konsequenzlos und stellt doch den ersten kollektiven Moment des Publikums dar – wir werden als Gemeinschaft konstituiert. Schließlich betreten wir den sogenannten Apparat: einen Raum mit Sitzgelegenheiten und einer Bühnenfläche in der Mitte, darauf technische Anlagen, Mikros...
Erschienen am 20.12.2023
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