1.1. Der Schwerpunkt des Universums
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Zuerst also zur Geschichte jener Seite des Sehfelds, die Lacan die »geometrale« nennt, zur Geschichte des ersten der beiden Dreiecke, und damit zurück zur Geschichte der Vermessungsversuche von Dantes Inferno. Das vielleicht Irritierendste an Galileis Höllenfahrt (oder –spaziergang) ist, wie zu Beginn des ersten Kapitels bereits einmal angedeutet, seine völlige Indifferenz gegen die Tatsache, dass es sich bei dem zu vermessenden Höllentrichter nicht um eine »reale« Umgebung handelt, das heißt um eines jener Phänomene, »die unseren Sinnen mehr oder weniger offenstehen« (SN 233), sondern, fast wie bei einem Computerspiel, um einen quasi virtuellen Ort, den, »im Innern der Erde gelegen und all unseren Sinnen verborgen, niemand von uns je kennengelernt hat.« (SN 233) Wie kommt Galilei um 1600 dazu, diesen Nicht-Raum unter den Maßgaben des Strahlensatzes und der proportionalen Berechnungen in Angriff zu nehmen? Wiewohl zwischen ihnen ein ganzer Weltenwechsel liegt, kann man die gleichlautende Frage auch an den dreihundert Jahre älteren Dante richten: Wie konnte es dem Dichter, der von Galilei deswegen auch als »Landschaftsbeschreiber und Architekt von ausgezeichnetem Sachverstand« (SN 233) apostrophiert wird, im 14. Jahrhundert gelingen, ein so detailgenaues Porträt des Höllenraumes zu geben, dass dieser mit den später entwickelten Instrumenten der Perspektive minutiös nachgebildet und –...