Glänzen oder Sterben
von Andreas Schlager
Erschienen in: Alles Katastrophe! – Bühnen – Martin Zehetgruber (06/2023)
Assoziationen: Martin Zehetgruber Theaterhaus Stuttgart Stadttheater Klagenfurt
Martins Bühnen waren für mich echte Sparringspartner. Sie haben viel Kraft gekostet, mich gleichzeitig aber auch unterstützt. Jedes Mal sah ich mich vor der Herausforderung, der Energie, die die Bilder ausstrahlten, ein Äquivalent entgegenzusetzen. Man konnte sich in diesen Welten nicht einrichten, sie waren fordernd. Oftmals hielten sie konkrete, erschöpfende, körperliche Aufgaben bereit. Bei „Kabale und Liebe“ (Klagenfurt 1993 / s.S.64f.) musste ich als Ferdinand immer wieder die 45-Grad-Schräge hochklettern und wurde dann von meinem Vater mit dem schweren Wintermantel heruntergeprügelt. Das wiederholte sich am Abend vierzig Mal. Wenn das Stück angesetzt war, bekam ich morgens schon einen Adrenalinschub. Ich hatte ehrlich Respekt.
Martins Bühnenräume verlangten absolute Wachheit und Aufmerksamkeit. Dadurch schenkten sie uns Spieler:innen eine ungeheure Präsenz. Alles wurde durch sie zu einem konkreten Vorgang, kein „als ob“ war uns möglich. Sie haben mich in Zustände getrieben, in denen ich mich vorher nicht kannte. Im Überlebensmodus sucht man nicht mehr nach dem richtigen Ton, sondern er ist einfach da.
Bei „Ödipus“ (Stuttgart 1997 / s.S.80f.) gab es keinen Halt, nirgends. Das Bühnenbild bestand lediglich aus einigen großen, in der Höhe schwebenden Diakästen, die Splitter des Himmels zeigten, ein zersprengtes, versehrtes Himmelsgewölbe, eine zerborstene Welt, Reste von etwas, in denen...