Decolonizing Time
von Donna Haraway
Erschienen in: CHANGES – Berliner Festspiele 2012–2021. Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion, Nachhaltigkeit (10/2021)
Für mich besteht eine der Hauptbedeutungen von „Decolonizing Time“ darin, mehrere Zeitlichkeiten zu bewohnen, umhüllte und verworrene Zeiten, die ontologisch komplex sind – eine Art Langsam-Sein beim ontologischen Schlussfolgern, eine Verlangsamung der Kategorisierungsarbeit, um die Kontaktzonen des Denkens zu öffnen. Marilyn Strathern hat mich gelehrt, dass es wichtig ist, welche Gedanken die Gedanken denken, dass es wichtig ist, welche Kategorien die Kategorien kategorisieren. Eine Art Öffnung der gefährlichen Kontaktzonen von Denk- und Seinsweisen, die wirklich aus verschiedenen Arten von Lebens- und Sterbeerfahrungen stammen. Die Kontaktzonen, die daraus entstehen, dass wir Verantwortung füreinander und miteinander übernehmen, dass wir die Probleme der kolonialen Geschichte erben, dass wir die Probleme der Auslöschungen und Ausbeutungen erben, aber auch die Erfindungen von kostbaren Dingen – zum Beispiel darf vieles aus der Aufklärung nie wieder von unserem Planeten verschwinden –, dass wir das Kostbare und das Schreckliche erben und die Kategorien öffnen. Zuhören lernen.
„Decolonizing Time“ beinhaltet die Kultivierung der Fähigkeit, still zu sein, zuzuhören und nicht selbstgewiss zu sein. Es geht darum zu verstehen, dass man die koloniale Zeit als Plantationozän („Plantagenzeitalter“) definieren könnte, als Zeit der Vereinfachung zum Zwecke der Wertschöpfung und der hierarchischen Verteilung von Werten, verbunden mit massiven Völkermorden an Menschen und...