Theater der Zeit

Auftritt

Thalia Theater Hamburg: Stars in der Manege

„Asche“ von Elfriede Jelinek – Regie Jette Steckel, Bühne Florian Lösche, Kostüme Hanna Krümpfer, Musik Matthias Jakisic

von Peter Helling

Assoziationen: Theaterkritiken Hamburg Elfriede Jelinek Jette Steckel Thalia Theater

Ein zutiefst persönlicher Text über den Verlust des geliebten Weggefährten: „Asche" von  Elfriede Jelinek in der Regie von Jette Steckel am Thalia Theater Hamburg.
Ein zutiefst persönlicher Text über den Verlust des geliebten Weggefährten: „Asche" von Elfriede Jelinek in der Regie von Jette Steckel am Thalia Theater Hamburg.Foto: Armin Smailovic

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Ein Hauch Ingmar Bergman, sein düsterer Film „Das siebente Siegel“, wo eine Gruppe Todgeweihter Hand in Hand am Horizont entlang tänzelt, dem Gevatter Tod auf der Spur. Eine fahrende Gauklertruppe geht im Kreis. Die Bühne des Thalia Gaußstraße ist in eine Manege verwandelt, eine kreisförmige Drehscheibe, mit Kunstgras bedeckt, dreht sich den gesamten Abend lang. Und die vier Schauspielerinnen und Schauspieler bewegen sich mit, eine Reise ins Nirgendwo. Oder ins Irgendwo, bei Elfriede Jelinek ist das gleich. Es ist irdisch und jenseitig, konkret und abstrakt, tief religiös und banal. „Asche“ heißt ihr neuer Text. Und da kreist alles förmlich um den Tod – sinnfällig gemacht durch ein Kreuz, das die Vierergruppe tief in die Mitte des Bühnenbodens pflanzt. Oder durch Asche, die vom Bühnenhimmel regnet.  

Am Ende wird ein Schiff kommen und mir den einen nehmen, den ich so liebe wie keinen. Er fehlt mir, ich habe ein glühend Messer in meiner Brust.

Es tut weh, diesen Zeilen zu zuzuhören. Eine Frau, vielleicht eine Seherin, eine Autorin, vielleicht Elfriede Jelinek, beweint den Verlust ihres langjährigen Partners. Jelinek belässt es bei autobiografischen Splittern. Die vermengen sich mit einer Betrachtung der zerfallenden Welt, angesichts von Klimawandel und Krieg. Gleich am Anfang ist von „einem schrecklichen Scheusal“ die Rede, der gerade „Waffen auf Menschen schmettert“. „Sie wissen, wen ich meine.“ Unschwer ist der Kremlchef zu erkennen, oder ist es ein anderer Diktator?

Der Nebel steigt, das Licht ist gedämpft, endzeitlich. Bitter, wie fragil die menschliche Existenz ist. Und wunderschön zunächst, wie Thalia-Hausregisseurin Jette Steckel und ihr Bühnenbildner Florian Lösche hier auf der kleinen Thalia-Bühne eine poetische, raumgreifende, fast zeitlos-schöne Inszenierung entwerfen. Übrigens inszeniert Jette Steckel zum ersten Mal einen Text von Elfriede Jelinek. Begleitet von der Livemusik von Matthias Jakisic, der mit seiner aufgerauten Stimme diesem Totentanz den brüchigen Sound gibt.

Vor allem überzeugen die großartige Barbara Nüsse und ihre Weggefährten, Franziska Hartmann, Björn Meyer und Jirka Zett. Das dicht und ganz natürlich spielende Ensemble spricht den vielleicht abgeklärtesten Text Jelineks, der sich kaum an Konkretes heftet, sondern mäandernd, wabernd, beinahe tonlos wirkt, als eine Person mit vier Köpfen. Die Sprache tastet sich wie die Vier ins Nichts. Und perlt leise, humorvoll, unverwechselbar mit diesem Jelinek-Klang.

Wenn ich meinen traurigen Tag hab, geh ich in mein Kämmerlein, mach die Tür auf und falle ins Nichts, weil man an den Tod nichts anstückeln kann

Einfach gekonnt, wie die Vier den Text zu einem Gespräch machen, einem Selbstgespräch eines vierfach aufgefächerten Ichs. Vier Teile, die manchmal wie die vier Elemente wirken, entsprechende Farben tragen ihre Kostüme (Hanna Krümpfer). Auf dem Kopf haben sie schwarze Kappen, die an Gustaf Gründgens‘ Mephisto erinnern. Franziska Hartmann trägt zwei Zöpfe darunter, ein recht deutlicher Jelinek-Verweis.

Hier sind die Vier natürlich auch das Universum oder die Erde, mehr Symbol geht kaum. Sie singen Mahler, die „Lieder eines fahrenden Gesellen“. Das trifft immer wieder ins Herz. Und um das ganze anzureichern, hat die Regie einen Kinderzirkus engagiert: Die sieben jungen Akrobatinnen und Akrobaten vom Zirkus Zartinka geben diesem Totentanz der Erwachsenen etwas Zeitloses. Sie sind ohne Alter, wirken fast älter als das vierköpfige Ensemble, weil sie zeichenhaft sind, von vornherein, wie Genien, wie Engel. Und wie schön die Bilder sind, die hier entstehen! Man guckt übrigens von vier Seiten auf das Bühnenrund: Ein leuchtender Lichtwürfel wird herabgelassen, Hulla-Hoop-Reifen wirbeln funkelnd, ein hochsymbolisches Metallkreuz wird zum Kletterbaum. Und um dem ganzen eins draufzusetzen, holen sie am Schluss sogar die Sterne vom Bühnenhimmel: Sie jonglieren mit leuchtenden Bällen, bis sie schließlich zu Boden fallen und Sternzeichen bilden. Das Schlussbild.

Was der Tod einmal hat, das gibt er nicht mehr her.

Bei aller Schönheit: Der Abend entwischt zunehmend der Trauer des Textes, der dadurch nicht hängen bleibt. Die Bilder, bezwingend poetisch, gehen ins Leere. Etwa wenn eins der Kinder mit einem zerfurchten Ast auf dem Kopf die Bühne betritt, der aus Haaren geformt zu sein scheint. Ein Urwesen, eine mythische Figur? Es bleibt offen, bleibt Effekt. So ist die Gegenwelt des Zirkus inhaltlich nicht stark genug, um den Text szenisch aufzuladen, und verwandelt ihn nicht, sondern strandet daran. Ästhetik ist keine Rettung, sondern entschärft die Zeilen. Die Kreisbewegung gerät nur manchmal ins Stocken – manchmal scheidet eine der Figuren aus, wie Barbara Nüsse: die älteste auf der Bühne. Sie wird von den anderen auf die Schultern genommen, ihre Figur wird bildlich zu Grabe getragen, der Text geht weiter, das Kreisen auch. Und das schönste, weil unaufwändigste, spielerischste Bild: wenn die vier Wanderer von einem der Kinder begleitet werden. Es geht hinter ihnen hier, aber auf Händen. Einfach so. Das Bild bleibt.

Erschienen am 24.1.2025

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